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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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beide Arme. Sie trägt ein kurzärmeliges Shirt und die Narbe am rechten Ellbogen ist diesmal
nicht
ausgemalt. Normalerweise kritzelt sie gerne daran herum, schmückt sie mit Reben im Stil viktorianischer Vignetten. Dad hat ihr Kerker angedroht, wenn sie die Narbe heute weniger grässlich aussehen lässt, als sie ist.
    »Ich glaube, es ist ganz gut gelaufen«, sagt sie.
    Ich drehe mich noch einmal um und schaue zum Eingang. Dad steht noch immer da und unterhält sich mit seinen alten Kollegen, obwohl er nicht mehr dazugehört. Er ist jetzt Staatsanwalt und ein fieser obendrein. Die Geschworenen haben sich gerade zur Beratung zurückgezogen. Phil LaMarr wurde abgeführt, irgendwohin, weit ab von der zivilisierten Menschheit. Wenn die Geschworenen zurückkommen, hoffe ich, das Wort
Haft
zu hören.

    Wir sind zurück in unserem Stadthaus, Mom und Dad, Petunia und ich. Ich hatte ganz vergessen, wie klein das Haus ist. Die Hälfte nimmt schon der Hund in Anspruch. Ihm galt meine größte Sorge an jenem Tag am Fluss. Den ganzen Weg nach Portland habe ich im Rettungshubschrauber um Petunia geweint. Zumindest wurde mir das so erzählt. An die Tränen und die Verzweiflung kann ich mich noch erinnern. Dann war da Dad, der mich zu beruhigen versuchte und sagte: »Ranger Dave kriegt sie schon wieder hin.«
    Oh, ja, dachte ich daraufhin und verlor das Bewusstsein.
    Ehe ich mich versah, wachte ich im Krankenhaus wieder auf, neben mir auf dem Besucherstuhl ein schlafender Tomás. Ausgiebig betrachtete ich ihn von der Seite. Die Baseballkappe hatte er abgesetzt und so kringelten sich die dunklen Locken um seinen Kopf wie ein Heiligenschein aus Fragezeichen. Wow, diese markanten Wangenknochen, steiler als jede Uferböschung. Und dieser Kinnbart à la Sheriff von Nottingham. Ich muss verrückt gewesen sein, dass ich den jemals angsteinflößend fand. Tomás war nicht der Sheriff von Nottingham. Er war auch nicht Robin Hood, denn der war ein Gesetzloser. Und von Gesetzlosen hatte ich die Nase gestrichen voll. Nein, Tomás war besser als das. Er war König Richard Löwenherz, zurückgekehrt von den Kreuzzügen, um zu Hause nach dem Rechten zu sehen.
    Und da begann ich zu weinen, denn beinah hätte ich diese Chance verpasst, und das war fast genauso schlimm, wie sie wirklich verpasst zu haben.
    Tomás wurde wach. Er fragte mich, was denn los sei. Ich wusste aber nichts Schlagfertiges zu erwidern. Dann überraschte er mich. Statt eine Schwester zu rufen, die mir noch mehr Schmerzmittel verabreichen würde, hob er sanft meinen Kopf und legte den Arm um mich. Ohne ein weiteres Wort schliefen wir ein.

    Gretchen und ich stehen immer noch unter Portlandia, als Tomás angetrabt kommt. Glatt rasiert für heute. Ich streiche ihm übers Kinn, mir fehlt das Kratzige.
    »Gewöhn dich bloß nicht dran, Baby. Sobald der Prozess vorbei ist, lass ich den Bart wieder sprießen.«
    »Hast du den Beeper?«, frage ich.
    Tomás wirft ihn mit einem angedeuteten Sprungwurf hoch und fängt ihn wieder auf. »Dein Dad meint, wir sollen in der Nähe bleiben«, sagt er. »Er rechnet nicht damit, dass die sich ewig beratschlagen.«
    Gretchen deutet auf einen Starbucks auf der gegenüberliegenden Straßenseite und ich humpele mit meinen Krücken los. Die anderen beiden sind schneller als ich. Ich bemühe mich, es mit Fassung zu tragen. Mit ein wenig Glück und Krankengymnastik sollte ich im Herbst wieder laufen können.
    »Voll genial die Idee von deinem Vater mit dem Minirock«, sagt Gretchen, während sie draußen auf dem Bürgersteig einen Tisch in Beschlag nimmt. Vor uns auf derStraße kommen und gehen die Linienbusse und blasen uns ihre Abgase ins Gesicht.
    Ich sehe an meinen Beinen hinunter. Das eine steckt in einer frankensteinmäßigen Schiene. Ein Metallstift hält mein Schienbein zusammen. In zwei Wochen bekomme ich den Gips ab und darf dann eine Schale tragen. Obwohl Keith tot ist, habe ich immer noch eine Mordswut auf ihn, dass er mir mit seinem Schuss das Bein so zertrümmert hat, dass man selbst in meinem Unterleib noch Knochensplitter fand. Zumindest hat das Doktor Zegzula behauptet. Womöglich hat er auch nur einen Scherz gemacht.
    Heute hat Dad darauf bestanden, dass ich einen Minirock trage, damit jeder einen Eindruck davon bekommt, was mir Phil LaMarrs Stiefsohn angetan hat. Er sprach die ganze Zeit von den Geschworenen, die nach der Zurschaustellung meines Elends, Gretchens und meiner Zeugenaussage und der der beiden Brads kaum geneigt sein
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