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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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Santiam nur wenig Wasser, sanft strömt es dahin. Nachdenklich betrachte ich den glatten Stein in meiner Hand. Offenbar ist es wichtig, aber ich entsinne mich nicht mehr, wie ich es anstellen soll. Was sollte ich noch genau machen? Wie weit muss ich die Hand nach hinten nehmen? Werfe ich wie ein Mädchen von unten? Versuche ich, dem Stein noch einen Drall zu geben?
    Auf der anderen Seite tritt Karen aus dem Unterholz, schleudert ihre Flipflops von sich und watet mit sicheren Schritten auf mich zu
.
    Wortlos lässt sie sich neben mir nieder. Ihr ganzes Gesicht kann ich nicht ausmachen. Ich sehe sie nur im Profil. In mir steigt etwas hoch, bleibt mir in der Kehle steckenwie ein Donnerei. Das ist nicht richtig. Sie sollte gar nicht neben mir sitzen. Ich möchte es zwar, aber so laufen die Dinge nun mal nicht
.
    Sie hebt einen Stein auf, nimmt die Hand zurück und lässt ihn übers Wasser sausen
. Flip. Flip. Flip. Platsch.
    Ah, jetzt erinnere ich mich. So macht man das
.
    Warum weinst du denn, Ronnie?
    Ich fühle ihre Stimme, mehr als dass ich sie höre
.
    Ich habe dich im Stich gelassen, sage ich
.
    Wie denn?
    Ich hätte mit dir gehen sollen, erinnerst du dich noch? An diesem einen Tag? Du wolltest hinübergehen, aber ich habe dich nicht gelassen
.
    Ahhhh … sagt sie, ihr sanfter Seufzer streicht mir über die Ohren wie eine zarte Brise. Du warst eine gute Freundin
.
    Das sagst du doch bloß, weil ich dir immer Schokolade gegeben habe
.
    Sie greift ins Wasser, sucht sich einen flachen, glatten Flussstein und lässt ihn hüpfen
.
    Die Schokolade habe ich schon gemocht, sagt sie. Aber am meisten hat mir gefallen, dass du Zeit mit mir verbracht hast. Oft haben mich die Leute mit meinen Geschwistern verwechselt. Du nicht
.
    Nein, sage ich. Ich wollte nie, dass du jemand anders bist. Du warst etwas ganz Besonderes
.
    Sie nickt. Und darum bin ich zurückgekommen. Du musst mich jetzt endlich loslassen, Ronnie
.
    Ich weiß, sage ich. Es ist nur so schwer. Ich habe Angst, dich zu vergessen
.
    Du wirst mich nicht vergessen. Du weißt doch noch, wie man Steine zum Hüpfen bringt, oder?
    Das ist doch etwas anderes, widerspreche ich
.
    Nein, sagt sie. Das ist nichts anderes. Ich stecke dir jetzt im Blut. Wie Flusswasser
.
    Sie erhebt sich und macht sich auf den Rückweg
.
    Karen?
    Sie hält inne
.
    Wenn du willst, komme ich mit. Ich habe keine Angst mehr
.
    Sie dreht sich halb zu mir um. Das weiß ich doch, Ronnie. Aber du kannst nicht mit
.
    Nach zwei weiteren Schritten bleibt sie noch einmal stehen. Du wirst es ihnen sagen, nicht wahr?
    Wem?
    Mama und Papa. Sag ihnen, dass es mir gut geht. Hier gibt es so viel zu entdecken. Im Grunde überschreitet man nur eine weitere Grenze
.
    Nun ist es an mir zu seufzen. Irgendwie ergibt diese Traumlogik einen Sinn
.
    Ich sag es ihnen
.
    Zufrieden dreht sich Karen nun vollständig zu mir um. Ich kann sie jetzt ganz sehen und sie ist nicht strahlend und prächtig, sie ist einfach nur Karen und sie fehlt mir und ich werde sie nie zurückbekommen. Sie lächelt mir traurig zu, strafft die Schultern und winkt zum Abschied. Ich zähleihre Schritte wie die Hüpfer der Kiesel. Eins … zwei … drei. Neun Schritte bis zum anderen Ufer
.
    Neun Schritte und sie ist verschwunden
.

23
    Eins … zwei … drei … neun Stufen.
    Neun Stufen vom Gerichtsgebäude auf die Straße. Im Einschätzen von Entfernungen bin ich gut geworden; weiß wann ich die Krücken zur Hilfe nehmen und wann ich einfach hopsen soll. Diesmal entscheide ich mich für die Krücken und humpele schwungvoll die neun Stufen hinunter, ohne das Gleichgewicht zu verlieren oder vor einen Bus zu stürzen.
    Ich schaue auf. Der Gerichtshof ist wohl das coolste Gebäude hier in Portland, ganz aus geometrischen Steinen, als hätte es ein Kind aus Bauklötzen zusammengesetzt. Vor dem Portal befindet sich Amerikas zweitgrößte Bronzestatue. Portlandia. Sie ist riesig, eine Göttin mit welligem Haar, die in der einen Hand einen Dreizack hält und mitder anderen Boote aus dem Wasser fischt. Von hier aus kann ich nur den unteren Teil einer riesigen Bronzehand erkennen.
    Gretchen zündet sich neben mir eine Zigarette an. Es ist ein scheußliches, stinkendes Laster, aber es könnte viel schlimmer sein. Sie nimmt einen Zug und ich betrachte sie von der Seite. Ein bisschen voller ist sie geworden, nicht sehr, aber zumindest haben ihre Wangen wieder Farbe. Die lila Spitzen hat sie sich abgeschnitten, sodass sie beinah normal aussieht.
    Sie hat noch
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