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Dunkle Seelen

Dunkle Seelen

Titel: Dunkle Seelen
Autoren: Gabriella Poole
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Erwartungen nicht dunkel. Über ihm erstrahlte eine byzantinische Kuppeldecke im Licht von Hunderten von Kerzen.
    Kerzen...?
    Er blieb stehen und spitzte die Ohren. Alle mit Holzschnitzereien verzierten Türen, die von dem Raum abgingen, standen offen.
    Jetzt war Yusuf auf der Hut. Jenseits des gewaltigen Atriums war die Krypta ein Labyrinth aus Torbögen und Durchgängen, und wer immer ihn bei seinem nächtlichen Vergnügen gestört hatte, versteckte sich darin. Und er machte das gut...
    Diese heimliche Jagd erfüllte Yusuf mit prickelnder Erregung. Wirklich kein verschwendeter Abend. Ein Gegner verhalf ihm zu einem beinahe genauso großen Kick wie eine Geliebte. Er würde diesem Emporkömmling eine Lektion erteilen.
    Ha! Eine plötzliche Bewegung, aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Da, hinter diesem Torbogen mit der brüchigen, verblassten Vergoldung. Yusuf bewegte sich flink und lautlos wie eine Katze.
    Der Vorraum war klein, mit einem maßwerkverblendeten Kreuzgang und halbzerstörten blauen Mosaiken.
    Das Kerzenlicht drang nicht bis in die Schatten hinter den Säulen vor. Es gab keinen Ausgang: Es war eine Falle. Mit einem schiefen Lächeln blieb Yusuf stehen. Es wurde Zeit, den Spieß umzudrehen und diesen unverschämten Stalker zu stellen.
    »Zeig dich.« Seine Stimme hallte klar und befehlend durch das Gewölbe.
    Und erntete nur Stille. Langsam lief er in einem Halbkreis durch den Raum und blickte in jede Ecke, jeden Schatten.
    »Du kannst nirgendwohin. Komm raus.«
    Immer noch nichts. Die Stille lastete schwer in der flackernden goldenen Luft.
    »Verdammt noch mal, wer bist du? Zeig dich sofort.«
    Eine Bewegung, ein Geräusch hinter ihm. Wahrscheinlich nur ein Schritt, aber nah. Zu nah.
    Er fuhr auf dem Absatz herum, die Muskeln angespannt zum Angriff. Diese Dreistigkeit hatte ihn wütend gemacht. Er blickte in ein funkelndes Lächeln, dem ein weiteres, finstereres Funkeln folgte.
    »Du! Was zum Teufel...«
    Yusuf taumelte rückwärts und riss entsetzt die Hände hoch. Ihm blieb nicht einmal Zeit zu schreien. Er konnte nicht weglaufen. Konnte seine vor Angst geweiteten Au  gen nicht schließen. Zum ersten und letzten Mal in seinem Leben verspürte er ein erdrückendes und lähmendes Grauen, als die Gestalt auf ihn zusprang.
    Dann erloschen alle Kerzen im Gebäude und Yusufs Welt versank in absoluter Schwärze.

KAPITEL 1
    Drei Wochen zuvor
    »Ich vermisse ihn.«
    Cassie Bell sagte nichts. Ihre Freundin sah sie an.
    »Jake. Ich vermisse ihn.«
    »Ich weiß, Isabella«, erwiderte Cassie. Wie hätte sie vergessen können... ?
    Von Schuldgefühlen geplagt, hielt Cassie den Blick konzentriert auf das blaue Meer und das im Sonnenschein erstrahlende Istanbul gerichtet. Sie hatte kein Recht, mit ihrer liebeskranken Mitbewohnerin die Geduld zu verlieren. Es war schließlich zum Teil ihre Schuld, dass Jake, Isabellas fester Freund, in diesem Trimester nicht zur Schule zurückkommen würde.
    Sie wünschte bloß, Isabella könnte glücklicher sein, das war alles. Und zwar nicht nur, weil sie es hasste, ihre Freundin so deprimiert zu sehen; sie wollte sich auch selbst deswegen nicht mehr so schlecht fühlen. Vor ihnen lag ein neues Trimester, eine neue Stadt, die es zu entdecken galt. Und eine neue Cassie — falls es ihr gelang, sich zur Abwechslung einmal ganz auf den Unterricht zu konzentrieren.
    »Schön, nicht wahr?« Sie stieß das argentinische Mädchen an und lächelte, dann deutete sie mit dem Kopf in Richtung Stadt.
    Mit sichtlicher Anstrengung riss Isabella sich zusammen und betrachtete den Bosporus und die Stadt, die vor dem Bug der Jacht mit all ihren Kuppeln und Minaretten aus dem Dunst aufragte. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als könne sie es nicht verhindern.
    »Ja, du hast recht. Es ist umwerfend.«
    Cassie hatte noch nie eine Skyline gesehen, die auch nur entfernte Ähnlichkeit mit dieser gehabt hätte. Das war allerdings nicht weiter verwunderlich. Cassie hatte erst vor knapp einem Jahr erstmals mit den großen Städten dieser Welt Bekanntschaft geschlossen. Davor war sie erfolglos zwischen Pflegeeltern und dem Cranlake Crescent Kinderheim hin und her gependelt. Gott sei Dank, dass das vorbei war.
    Wieder meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Cassie schluckte und krampfte die Finger um die Reling. Das Cranlake Crescent war nicht direkt die Dark Academy, aber es war für sehr lange Zeit ihr Zuhause gewesen, und nicht alles war schlecht gewesen. Sie hatte Freunde gehabt und die
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