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Dunkle Seelen

Dunkle Seelen

Titel: Dunkle Seelen
Autoren: Gabriella Poole
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los. Ihre Lippen kribbelten noch immer, aber als sie ihm in die Augen sah, wurde ihr ebenso schlagartig wie endgültig klar, dass es nicht das war, was sie wollte. Dass er nicht derjenige war, den sie wollte. Ihr Gewissen machte sich bemerkbar.
    »Für mich ist es noch zu früh«, murmelte sie. »Zu früh.«
    Zu ihrer Überraschung nickte er. »Ja, ich weiß.« Seine Finger waren noch immer um ihre geschlungen und sie entzog ihm die Hand nicht. Eine Locke seines Haars war ihm übers rechte Auge gefallen und er hatte dieses alte, schurkenhafte Grinsen aufgesetzt. »Ich will nur mein Interesse anmelden.«
    Bei seiner Direktheit stockte ihr der Atem. »Frech.«
    »Und da war noch etwas«, sagte er, und sein Grinsen verebbte.
    »Ja?«
    »Ich dachte, ich sollte dich wissen lassen, dass ich dich liebe.«
    Sie verbrannte sich die Lippen an ihrem Kaffee. »Du tust was?«
    »Du hast es gehört.« Er belächelte ihren Gesichtsausdruck, bevor er fortfuhr. »Wenn du mich brauchst, Cas-  sie, werde ich da sein.Verstanden? Aber ich verspreche dir, keinen Druck auszuüben. Ich erwarte nichts anderes als Freundschaft, und ich bedaure alles, was ich getan habe. Aber ich würde mein ganzes Leben damit verbringen, es bei dir wiedergutzumachen.« Er stand auf, um zu gehen.
    »Ähm. Richard...«
    »Ja?«
    Also...? Richard, was? Cassie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Jetzt hatten ihr binnen weniger Tage zwei Jungen ihre Liebe erklärt und keiner von ihnen kam wirklich infrage. Einer war wegen Mordes auf der Flucht, der andere war...
    Der andere war nicht Ranjit.
    Cassie seufzte tief auf. Sie war auf sich gestellt, ob es ihr gefiel oder nicht. Und es gefiel ihr nicht. Aber so war das Leben.
    »Hey!«, durchbrach Richard ihre Gedanken, als er ihre Bestürzung sah. »Habe ich nicht gerade ganz deutlich gesagt, dass ich keinen Druck ausüben werde?« Er zwinkerte ihr ernst zu. »Ich habe es wirklich so gemeint, Cassie. Und ich meine auch den Rest von dem, was ich gesagt habe.«
    Ein Teil von ihr wollte sich ihm in die Arme werfen, ihn packen und sich an ihn klammern, aber Richard hatte sich bereits abgewandt und ging zur Tür hinaus, nachdem er dem Besitzer des Cafès zuvor mit einem Lächeln einige Geldscheine hingeworfen hatte.
    Cassie, die wieder Luft bekam, stützte sich auf den Tisch und schaute entschlossen auf das Meer und das asiatische Ufer. Sie würde ihm nicht nachlaufen. Obwohl es so viel einfacher gewesen wäre, wenn sie es hätte tun können ...
    Nein, nein, meine Liebe! Dein erster Instinkt war richtig. Gütiger Gott, wie konntest du jemals auch nur daran denken...?
    Cassie richtete sich ruckartig auf. Gegen ihren Willen musste sie ein Kichern unterdrücken. Es klang so beleidigt, der unverkennbare Tonfall verletzten Stolzes.
    »Wo liegt das Problem, Estelle?«, murmelte sie.
    Meine Liebe! Das weißt du sehr wohl!
    »Nein.Verrate es mir.«
    Sie konnte beinahe spüren, wie der Geist sich entrüstet aufrichtete. Wir sind stark, Cassie! Wir brauchen nur einander!
    Cassie antwortete nicht.
    Wenn jemand uns trennen will, Cassie, müssen wir uns gegen ihn verbünden. Gegen ihn. Da ist kein Platz für Sehnsucht.
    Die Morgensonne spiegelte sich so grell auf der Oberfläche des Wassers, dass Cassie die Augen schließen musste. Sie wollte ohnehin nichts sehen. Sie wollte nichts mehr von Estelle hören und gewiss wollte sie nicht nachdenken.
    Ranjit.
    Wo war er?, fragte sie sich. Versteckte er sich irgendwo, unglücklich, von Schuldgefühlen gequält und verängstigt? Oder vielleicht hatte er sich von den Schuldgefühlen erholt, vielleicht wanderte er durch die Straßen, schlug die Vorsicht in den Wind, stolz und geringschätzig, während er der Welt ein hochmütiges Gesicht zeigte und sich Nahrung suchte, wo es ihm gefiel? Sie schüttelte den Kopf. Das schien unwahrscheinlich.
    Dachte er überhaupt an sie? Oder hatte der pure Überlebensinstinkt in ihm das Kommando übernommen?
    Eins wusste sie jedenfalls mit Bestimmtheit: Sie würde ihn wiedersehen. Davon war sie überzeugt. Musste es sein. Sie wusste nicht, unter welchen Umständen, sie wusste nicht, ob sie Liebende oder Mörder oder beides sein würden. Vielleicht würden sie am Ende einander töten, ein und für alle Mal...
    Cassie öffnete ihre brennenden Augen und suchte über dem vom hellen Morgenlicht beschienenen Bosporus nach der nebligen Silhouette der Akademie.
    Für den Augenblick war Ranjit verloren, ebenso wie ihre gemeinsame Zukunft. Aber jetzt wusste sie,
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