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Dunkle Seelen

Dunkle Seelen

Titel: Dunkle Seelen
Autoren: Gabriella Poole
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Yusuf irgendetwas war, dann erfahren. Er war stark, er war geschickt.
    Und verdammt noch mal, er war hungrig.
    Er umfasste ihr Gesicht und zog ihre Lippen entschlossen auf seine. Für einen Moment verspürte er die simple Freude menschlicher Berührung. Dann pulsierte der Geist in seiner Brust und Energie schoss in seine Adern. Seine Augen weiteten sich, wurden rot.
    Als das Mädchen leise stöhnend protestierte, riss er sich zusammen. Er würde ihr nicht wehtun. Das war nicht die Art, wie er seine Kicks bekam. Also lockerte er seinen Griff, intensivierte den Kuss und spürte, wie Lebensenergie seine Nervenenden kribbeln ließ. Oh, Nahrung, Befriedigung, Wonne.
    Seine Sinne schärften sich, sein Geruchs- und Geschmackssinn waren plötzlich unglaublich ausgeprägt. Er konnte den Herzschlag der Stadt hören, das Vibrieren der Schiffsmotoren. Er hörte leise Schritte. Und ein Wispern rief seinen Namen.
    Yusuf Ahmeeeed...
    Hatte er sich verhört? Er ließ das Mädchen los und lauschte aufmerksam.
    Er hatte den Ort gut gewählt: diesen abgeschiedenen Raum mit seinen romantischen Bögen und Nischen über dem Restaurant in Altistanbul. Außerdem hatte er den Besitzer extrem gut bezahlt, weil er absolut klargestellt hatte, dass er nicht gestört werden wollte.
    Woher kannte diese Person seinen Namen? War es jemand von der Akademie ... ?
    Bei dem Gedanken lief ihm ein Schauder über den Rücken. Das konnte er jetzt nicht brauchen. Nicht gerade jetzt, am Ende seiner Schullaufbahn. Erwischt zu werden, während er sich ohne Erlaubnis nährte und dann auch noch auf eine verbotene Art und Weise. Man könnte ihn hinauswerfen, so wie Katerina Svensson nach dem Zwischenfall mit der kleinen Bell. Sir Alric nahm seine Regeln sehr, sehr ernst...
    Lautlos und mit allen Sinnen in Alarmbereitschaft wandte er sich der Dunkelheit jenseits des Fensterbogens zu. Er trat näher ans Fenster heran und wurde außergewöhnlich ruhig, während er forschend in die Nacht hinausspähte. Unter ihm befand sich ein Innenhof, der an drei Seiten von einem im Schatten liegenden Balkon um  geben war.
    Da. An einer gefliesten Wand voller Risse huschte eine Silhouette vorbei.
    Jemand spionierte ihm nach. Jemand, der seinen Namen kannte. Der ihn verhöhnte: einen Schüler der Ober  stufe, der Abschlussklasse, einen der mächtigsten Auserwählten! Der Geist in ihm regte sich wieder, aber diesmal vor Zorn. Wie konnte diese Person es wagen!
    Seinen Hunger hatte er weitgehend gestillt, aber der romantische Augenblick war jetzt verloren. Ein Grund mehr, wütend auf den Eindringling zu sein. Er berührte das Gesicht des Mädchens. Nach und nach kam sie sachte wieder zu sich, ihr Blick schärfte sich, der Mund verzog sich zu einem entschlosseneren Lächeln. Verführerisch strich sie ihm mit der Hand über die Brust, nahm den Haifischzahn, der als Anhänger an seiner Goldkette baumelte, zwischen die Finger und drehte ihn hin und her.
    »Willst du mich nicht küssen?«
    Wenn du nur wüsstest, dachte er trocken.
    »Entschuldige, Habibi. Ich habe eine SMS bekommen, es ist ein Notfall. Du musst gehen.«
    Ihr Schmollmund war ein zauberhafter Anblick. Er lachte.
    »Wir sehen uns morgen Nacht wieder. Dann werde ich dich für heute entschädigen, okay?«
    »Oh ja. Das wirst du bestimmt.« Sie zwinkerte, warf ihm eine neckische Kusshand zu und verschwand.
    Yusuf stieß einen letzten sehnsüchtigen Seufzer aus, doch seine Muskeln spannten sich bereits für die Jagd. Leichtfüßig und schnell schwang er sich durch den Fensterbogen und hinaus auf den klapprigen Balkon. Die dunkle Gestalt hatte jede Menge Zeit zur Flucht gehabt, setzte sich aber erst in Bewegung, als Yusuf behände in den Innenhof hinuntersprang. Töricht, dachte er.
    Während sie durch die Gassen von Sultanahmet rannten, war die Gestalt ihm stets einige Schritte voraus. Wer auch immer es war, er war beinahe genauso flink und wendig wie Yusuf. Je weiter sie rannten, desto dunkler und einsamer wurde es. Die Geräusche der Stadt waren nur noch gedämpft zu hören, als hätte Yusuf den Spion in eine andere Zeitzone verfolgt. Keine Menschenseele weit und breit.
    Dann stellte er überrascht fest, dass die Gestalt die Treppe eines Nebengebäudes der Hagia Sophia hinaufsprang. Er wurde langsamer. War es ein Mausoleum? Noch immer hatte Yusuf keine Angst. Er näherte sich dem Eingang und stellte fest, dass die Krypta wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war. Als er eintrat, war sie zwar menschenleer, aber entgegen seiner
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