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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete
Autoren: Sharon Bolton
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einem einzigen Menschen außer meiner Schwester erlaubt, mich Tic zu nennen, und das war jene bedauernswerte, liebe, hoffnungslos drogensüchtige junge Frau, die ich kennengelernt und mit der ich mich angefreundet hatte, als wir vor zehn Jahren beide obdachlos gewesen waren. Die Geschichte, die ich DI Joesbury in einem Hotelzimmer in Cardiff erzählt hatte, war fast hundertprozentig wahr gewesen. Ich hatte sie nur aus der Sichtweise der anderen erzählt. Und ich hatte das Happy End erfunden. Nicht lange, nachdem ich Cathy offiziell für tot erklärt hatte, war ich in das Windengewölbe zurückgekehrt und hatte Lacey schwerkrank vorgefunden. Es war mir gelungen, sie zur Straße zu schleifen, und da ich keine andere Möglichkeit hatte, hatte ich ein Auto gestohlen, das nicht richtig abgeschlossen gewesen war. Ich hatte vor, sie ins nächste Krankenhaus zu fahren, sie in eine Privatklinik zu bringen, wenn es ihr besser ging, doch als ich mit dem Auto dort ankam, wo ich sie zurückgelassen hatte, war sie tot.
    Also hatte ich die Chance ergriffen, ein neues Leben anzufangen. Laceys Polizeiakte war relativ sauber, meine nicht. Ich war zur Küste gefahren, hatte das wenige, was sie an Papieren bei sich hatte, an mich genommen und durch meine ersetzt. Dann hatte ich das Auto und meine Freundin ins Meer geschoben. Um drei Uhr morgens, auf einer Klippe in Sussex, war ich Lacey Flint geworden,
    Und es hatte geklappt. Ich hatte mir die nötige Zeit genommen, um meine Schwester und um meine Freundin zu trauern, dann hatte ich mich daran gemacht, mir ein neues Leben aufzubauen. Ich hatte der Straße den Rücken gekehrt, hatte mich von jedem ferngehalten, der Lacey oder mich kennen könnte, und hatte Stück für Stück die Zügel des Lebens einer anderen übernommen. Weder Lacey noch ich hatten viele Angehörige gehabt, was die Anzahl der Menschen, denen ich aus dem Weg gehen musste, deutlich verringerte. Und ich hatte Geld geerbt, was sehr hilfreich gewesen war.
    Als ich das Gefühl hatte, ich wäre so weit, hatte ich mich bei der Londoner Polizei beworben. Da ich in meinem ganzen Leben niemals Drogen genommen hatte, bestand ich sämtliche Drogentests und die diversen Zugangsprüfungen mit Bravour und war schließlich ins Detective-Ausbildungsprogramm aufgenommen worden. Es war ein gutes Leben gewesen, solange es gehalten hatte.
    »Wir müssen es ihnen sagen«, meinte ich. »Wer wir wirklich sind.«
    Cathy hatte so eine Art, die Augen zusammenzukneifen, bis sie zu leuchtenden, blitzenden Schlitzen wurden; daran erinnerte ich mich noch von damals. Jetzt tat sie das auch. »In den Augen der Welt ist Victoria Llewellyn eine sadistische, blutrünstige Mörderin«, sagte sie. »Dafür habe ich gesorgt. Willst du wirklich wieder Victoria sein?«
    Als ich dort saß und in diese glänzenden, blaubraunen Augen sah, hätte ich nicht sagen können, ob sie versuchte, mich zu schützen oder mich zu vernichten. Und doch war das Ganze auf verschrobene Art logisch. Mein Versäumnis Cathy gegenüber vor all den Jahren hatte den Prozess in Gang gesetzt, der sie zu dem gemacht hatte, was sie war. Ich hatte meine Schwester in eine Mörderin verwandelt, und jetzt hatte sie es mit mir genauso gemacht.
    »Da fällt mir ein«, fuhr sie fort, »habe ich eigentlich deinen knackigen Detectivefreund umgebracht?«
    Ich wartete und sah zu, wie das Lächeln erstarb.
    »Nein«, sagte ich, als es verschwunden war. »Du hast einen Lungenflügel durchlöchert. Die Ärzte haben ihn wieder zusammenflicken können. Er wird wieder.«
    Ich stützte mich auf Berichte gemeinsamer Bekannter; ich hatte Mark nicht mehr gesehen, seit er beinahe gestorben wäre. Und das würde ich auch nicht tun, solange ich bei diesem Thema irgendetwas zu sagen hatte. Es reichte doch bestimmt, dass keine Sekunde verstrich, ohne dass ich an ihn dachte.
    Auf die Neuigkeit hin, dass er am Leben bleiben würde, zuckte Cathy leicht die Achseln und nickte. Ich nahm an, dass es sie letzten Endes freute, dass er nicht tot war, weil sie begriffen hatte, wie viel er mir bedeutete. Ansonsten interessierte sie das alles herzlich wenig. Das war der Augenblick, als ich endlich akzeptierte, dass meine Schwester verrückt war.
    »Cathy«, sagte ich.
    »Schsch.« Sie beugte sich abermals vor. »Nenn mich nicht so. Ich bin jetzt Vicky. Deinen Namen fand ich sowieso immer schöner.«
    »Cath- … ist dir klar, dass du lebenslänglich bekommst?«
    Sie setzte sich überrascht auf. »Jetzt spinn doch nicht, Tic«,
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