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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete
Autoren: Sharon Bolton
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abermals mit dem Funkgerät versuchte. Er hatte kein Glück.
    Der Keller des Güterschuppens war hundert Meter lang, und die einzige Möglichkeit, ihn im Stockfinstern unbeschadet zu durchqueren, war, der südlichen Wand zu folgen.
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, obwohl es nicht mehr als ein paar Minuten gewesen sein konnten. Einmal rutschte Joanna aus und fiel der Länge nach in eine Pfütze aus irgendetwas, das fürchterlich stank. Als wir sie herauszogen, hatten wir große Mühe, sie zum Weitergehen zu bewegen. Dann hörte ich ein Ächzen und ein Aufquietschen.
    »Ich hab sie«, verkündete Joesbury. »Über der Schulter, im Feuerwehrgriff. Weiter.«
    Ich ging weiter, quälend langsam, eine Hand an der Wand, die andere auf Joesburys Arm. Der Boden war hier nicht ungefährlich. Herabgefallene Ziegelsteine, Löcher im Beton, herumliegender Schutt; jeder Schritt musste mit Bedacht getan werden.
    »Halt, Lacey«, sagte Joesbury, als wir meiner Schätzung nach noch ungefähr zehn Meter vom nächsten Tunnelstück entfernt waren. »Hör mal.«
    Stille. Dann das leise Plink von etwas, das ins Wasser fällt.
    »Wir müssen weiter«, drängte ich.
    Wieder einen Moment lang Stille. Joannas Atem, wie kleine Schluchzer. Dann: »Also los«, sagte Joesbury. »Aber langsam und leise. Ich glaube, wir haben Gesellschaft.«
    Wir schafften es bis zum nächsten Tunnelstück. Es war keine dreißig Meter lang. Ich glaube, ich begann tatsächlich zu hoffen. Das Gewölbe unter dem Vorhof des Interchange Warehouse war nicht länger als mein Garten zu Hause. Dort würde Licht sein. Und der Sprung in den Kanal würde sich diesmal ganz wunderbar anfühlen.
    Als wir das Gewölbe des Lagerhauses betraten, wurde die Finsternis um uns herum schwächer und grauer. Ich konnte Säulen erkennen, das Spiegeln des Wassers zu unseren Füßen und ein orangegelbes Leuchten am anderen Ende, wo das Licht einer Laterne am Kanalufer gerade eben in das Gebäude dringen konnte.
    »Hi.«
    Wir blieben stehen. Llewellyn war hinter einem Träger hervorgetreten und stand ungefähr fünf Meter vor uns. Das Nachtsichtgerät hatte sie hochgeschoben. In der linken Hand hielt sie eine Taschenlampe, die sie jetzt anschaltete. In der Rechten hatte sie noch immer die Pistole. Wenn sie nicht echt war, waren wir außer Gefahr. Mit Joesbury konnte sie es nicht aufnehmen. Nicht einmal mit mir. Aber wenn doch …
    Ich trat vor ihn und wandte mich ihr zu. Hinter mir hörte ich, wie Joanna abgesetzt wurde, dann waren Joesburys Hände auf meinen Schultern.
    »Aus dem Weg, Lacey«, sagte er und versuchte, mich hinter sich zu schieben. Ich rührte mich nicht von der Stelle.
    »Sie wird nicht auf mich schießen«, widersprach ich, ohne den Blick von Llewellyn abzuwenden. »Es ist vorbei«, erklärte ich ihr. »Du hast doch gehört, was er gesagt hat. An jedem Ausgang stehen Polizisten.« Ich hielt inne und holte tief Luft. »Ich bleibe bei dir«, versprach ich. »Lass Mark und Joanna –«
    Ich kam nicht dazu, den Satz zu vollenden. Genau in diesem Moment stürzte die arme, verängstige Joanna Groves los. Ohne nachzudenken hechtete ich hinter ihr her, und Llewellyn hatte freies Schussfeld. Ich sah, wie sie den Arm hob, und dann gab es eine Explosion, die sich anhörte, als wäre das Dach eingestürzt. Ich drehte mich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie Mark zusammenfuhr, als hätte er sich verbrannt. Ich glaube, ich habe wohl die Augen geschlossen, denn als ich wieder hinsah, lag er am Boden.
    Den Bruchteil einer Sekunde später war ich bei ihm. Er war gegen eine Säule gefallen und in sitzender Stellung zusammengesackt. Llewellyns Taschenlampe richtete sich auf ihn, und ich konnte sehen, wie sich ein großer Blutfleck auf der rechten Seite seines Sweatshirts ausbreitete. Seine Augen waren noch offen. Hinter mir hörte ich heftiges Scharren, und dann wurde Joanna neben uns zu Boden geworfen.
    »Leg ihr die Handschellen an«, befahl Llewellyn mir. »Schnell. Wir haben nicht viel Zeit.«
    Mark hatte nicht viel Zeit. Sein ganzer Körper zitterte, und jeder Atemzug hörte sich an, als pfiffe die Luft durch eine verstopfte Rohrleitung.
    »Es tut mir leid«, formte ich mit den Lippen, ehe ich in seine linke Jackentasche griff und die Handschellen herausholte. Noch mehr Blut strömte aus der Wunde in seiner Brust. Ich zog meine Jacke aus und legte sie darauf, dann hob ich beide Hände und drückte fest dagegen.
    Die ganze Zeit über hatte Llewellyn uns nicht aus den Augen gelassen,
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