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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete
Autoren: Sharon Bolton
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und die Pistole zielte immer noch auf Mark. Hinter ihr kauerte Joanna Groves zitternd und schluchzend an einer anderen Säule. Rasch ging ich zu ihr, zog ihr ohne Gegenwehr die Arme auf den Rücken und legte ihr die Handschellen an. Dann rannte ich zu Mark zurück und berührte seine Wange. Schon jetzt fühlte sie sich viel zu kalt an. Ich wandte mich wieder der jungen Frau mit der Pistole zu.
    »Bitte lass ihn nicht sterben«, flehte ich sie an.
    Sie legte den Kopf schief und musterte uns; in ihrem Blick lag so etwas wie Interesse. Dann hockte sie sich hin und hantierte im Schatten herum.
    »Das liegt dann wohl jetzt bei dir«, meinte sie, als sie aufstand und mir etwas hinhielt, das im Taschenlampenlicht glänzte. »Hab dir extra ein zweites mitgebracht«, fuhr sie fort und streckte mir das Messer entgegen. Es sah genauso aus wie das, das am Vortag in meiner Wohnung angekommen war.
    Ich hatte Marks Hand gehalten, jetzt jedoch ließ ich sie los. Es würde keinen einfachen Ausweg aus dieser Situation geben.
    »Hab ich mir schon gedacht«, antwortete ich und erhob mich. Das Gewölbe konnte unmöglich von bewaffneten Polizeikräften umstellt sein, wie Mark behauptet hatte. Man hätte ihm niemals gestattet, allein hier hereinzukommen. Er hatte sich ohne Erlaubnis abgesetzt, genau wie ich. Wir waren auf uns allein gestellt. Mark war ein idiotisches Risiko eingegangen, weil er mir hatte glauben wollen, und das würde sein Tod sein.
    »Ich habe ein Auto am Kanal geparkt«, sagte Llewellyn zu mir. »Wir können es immer noch schaffen.« Sie streckte mir das Messer hin. Noch immer hielt sie die Pistole fest.
    »Lass uns gleich gehen«, schlug ich vor; ich wusste, dass Mark Hilfe anfordern konnte, sobald wir weg waren. Hier waren wir nicht nennenswert weit unter der Erde, sowohl sein Funkgerät als auch sein Handy würden funktionieren.
    »Erst gibt’s noch was zu erledigen«, erwiderte Llewellyn und warf einen raschen Blick auf Joanna Groves, die nichts anderes als das Messer angestarrt hatte, seit Llewellyn es hervorgezogen hatte. Als ich es nahm, begann sie zu weinen. Auf meiner anderen Seite hörte sich Marks Atem an wie ein alter Blasebalg. Ich blickte in türkisblaue Augen, die vor Schmerz dunkel geworden waren, und wusste, dass ich eine ganz einfache Wahl hatte.
    Wenn ich Joanna tötete und mit Llewellyn floh, könnte die Polizei vielleicht noch rechtzeitig eintreffen, um Mark zu helfen. Wenn ich mich weigerte, würden wir als Geiseln hier unten bleiben, und er würde sterben.
    »Lacey, was machst du denn?«, flüsterte er.
    Ich sah ihn nicht einmal an. Ich hatte meine Wahl getroffen. Entschlossen schritt ich hinüber, fiel auf die Knie und packte Joanna Groves an den Haaren. Das arme Mädchen war zu verängstigt, um auch nur zu schreien.
    »Lacey, untersteh dich!«
    Da konnte ich nicht anders, ich musste mich umdrehen. Er verfiel vor meinen Augen. Das Fleisch schien ihm aus dem Gesicht geschwunden zu sein, sein Körper war geschrumpft.
    »Ich kann nicht leben, wenn du nicht lebst.«
    Das war es, was ich zu sagen versuchte. Ob auch nur eines der Worte herauskam, weiß ich nicht, ich glaube, ich habe wohl zu sehr geweint. Tu es einfach. Ich lehnte mich zurück, so dass ich Joannas Kopf auf Armeslänge von mir weghielt. Dann fasste ich das Messer fester und setzte an. In dem Augenblick, als es die Haut berührte, schloss ich die Augen und schnitt mit aller Kraft, die ich noch hatte, ins Fleisch.
    Ein dreifacher Aufschrei hallte durch das Gewölbe. Keiner davon war meiner gewesen. Ich hatte weder genug Luft noch genug Kraft. Der Schmerz, der auf mein Gehirn einhämmerte, war zu stark, und alles, was ich in jenen ersten Sekunden tun konnte, war, das zu überstehen. Ich hatte Joannas Haar losgelassen. Mit einem Satz sprang sie von mir weg, das Gesicht voller Blut. Meinem Blut. Als ich eine Bewegung hinter mir hörte, nahm ich das Messer in die linke Hand und setzte die Klinge, die im kalten Licht rot schimmerte, an mein rechtes Handgelenk.
    »Ich tu’s«, warnte ich, und Llewellyn blieb wie angewurzelt stehen. Sie war auf mich zugesprungen, jetzt jedoch hielt sie inne. Ihr Blick löste sich von meinem, huschte zu dem Blut, das stoßweise aus der klaffenden Wunde in meinem linken Handgelenk strömte. Ich hatte die Arterie längs aufgeschnitten, so wie es entschlossene Selbstmörder tun. Es war erst Sekunden her, doch ich fing jetzt schon an zu zittern.
    »Was glaubt du, wie lange dauert es, bis man verblutet?«, fragte ich
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