Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete
Autoren: Sharon Bolton
Vom Netzwerk:
trug. Noch nicht verurteilte Insassen brauchen keine Sträflingskluft zu tragen. Die hellblonde Haarfarbe wuchs allmählich heraus, und an den Haarwurzeln konnte ich einen Zentimeter des warmen Hellbrauns sehen, an das ich mich erinnerte. Genau dieselbe Farbe wie mein eigenes Haar. Sie trug kein Make-up. Sie brauchte auch keins. Sie war noch immer eines der hübschesten Mädchen, die ich jemals gesehen hatte.
    Dieses hübsche Mädchen hatte mehrmals insistiert, dass sie keinerlei Kontakt mit mir gehabt hätte, seit sie nach Großbritannien zurückgekehrt war, und dass ich keine Rolle bei der Entführung oder einem der Morde gespielt hätte. Sie war fest entschlossen, dass mich keine Schuld für das treffen sollte, was sie getan hatte.
    Jetzt erblickte sie mich und lächelte, sah zu, wie ich auf ihren Tisch zukam und mich setzte. Rasch schaute ich mich um. Die Leute, die sich in Hörweite befanden, plapperten munter drauflos, waren nur mit sich selbst beschäftigt. Niemand würde uns hören.
    »Hey, Tic«, sagte sie.
    Diesen Spitznamen hatte ich sehr lange nicht mehr gehört. Ganz bestimmt nicht von dem Mädchen, das ihn mir ursprünglich gegeben hatte, als sein kleiner Babymund die vier Silben meines wahren Vornamens nicht hatte formen können. Meine kleine Schwester hatte »Victoria« nicht hinbekommen, also hatte sie mich Tic genannt.
    »Hallo, Cathy«, antwortete ich.

94
    Eine Weile, die mir sehr lang vorkam, sagten Cathy und ich kein Wort. Dann legte sie eine Hand auf meine, die auf der Tischplatte ruhte. Sie bog die Finger um mein verbundenes Handgelenk und drehte es um.
    »Wird das wieder?«, fragte sie.
    Ich zuckte ganz leicht die Schultern. »Na ja, weißt du noch, die Klavierstunden, die ich immer nehmen wollte? Sieht aus, als müsste ich mir das abschminken.«
    Sie legte meine Hand hin und lächelte abermals. »Es tut mir leid, was ich getan habe«, sagte sie, und sie hätte sich auch dafür entschuldigen können, dass sie eine von meinen CDs zerkratzt hatte.
    »Dass du diese Frauen umgebracht hast?«, flüsterte ich.
    »Großer Gott, nein. Das tut mir nicht leid«, wehrte sie mit einem seltsamen kleinen Schaudern ab. »Es tut mir leid, dass ich versucht habe, dich dazu zu bringen, die kleine Groves kaltzumachen. Ich hätte wissen müssen, dass das nicht geht.«
    Darauf hatte ich keine Antwort.
    »Als du der Curtis und der Groves diese Warnungen geschickt hast, da hätte ich wissen müssen, dass du nicht mitmachen würdest«, fuhr sie fort. »Ich habe übrigens den Detectives erzählt, ich hätte die geschickt – dass ich versucht hätte aufzuhören. Ich glaube, sie haben mir geglaubt.«
    »Stimmt«, bestätigte ich. Ich war sehr vorsichtig gewesen, als ich Karen Curtis und Jacqui Groves die Nachrichten geschickt hatte, man konnte sie unmöglich zu mir zurückverfolgen. Die Mühe hätte ich mir genauso gut sparen können. Meine Warnung hatte Karen Curtis nicht gerettet, und Jacqui Groves war sowieso nie als Opfer vorgesehen gewesen.
    »Und es tut mir leid, was ich damals gesagt habe«, beteuerte Cathy und lehnte sich ein wenig zurück. »Du weißt schon, als du zu dem Boot gekommen bist und ich ein bisschen ausgerastet bin. Es war nicht deine Schuld, was uns da im Park passiert ist, mit diesen Typen, ich musste einfach …«
    »Du musstest mich einfach loswerden«, beendete ich den Satz für sie.
    Sie nickte. »Du hast acht Monate nach mir gesucht«, sagte sie. »Ich hab gewusst, dass du mich nie in Ruhe lassen würdest. Es tut mir leid, Tic. Ich hab einfach Luft zum Atmen gebraucht. Und Zeit.«
    Ich ließ meinen Kopf bedächtig nicken, als verstünde ich das vollkommen. Was ich in gewisser Weise auch tat. Meine Schwester hatte Freiraum und Zeit gebraucht. Um die Zerstörung von fünf Familien zu planen.
    »Hast du das Hausboot angezündet?«, fragte ich, und als sie den Blick auf die Tischplatte senkte, wusste ich, dass sie es getan hatte. Also noch mehr Tote auf meinem Gewissen. Sie beugte sich über den Tisch. »Warum hast du das gemacht?«, wollte sie wissen. »Warum hast du denen erzählt, dieses Mädchen aus dem Fluss wäre ich?«
    »Damit du frei sein konntest«, antwortete ich. »Ich wusste doch, dass du das wolltest. Ein paar Tage später ist eine Freundin von mir gestorben, und es hat ausgesehen, als hätte ich dieselbe Chance. Ich dachte, die Welt würde die beiden Llewellyns nicht gerade vermissen.«
    »War das Lacey?«, wollte sie wissen.
    Ich nickte.
    Mein ganzes Leben lang habe ich nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher