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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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Kaffee. Alles war ruhig. Nur 100 Meter weiter gab es kurz Hektik. Zwei Männer eilten davon. Später kam ein Auto mit Gendarmen. Die Beamten verschwanden mit dem gestikulierenden Personal im Inneren des Cafés. Nach einer halben Stunde erschien ein Krankenwagen. Doch er fuhr kurz danach wieder ab. »Herzinfarkt, Kreislaufzusammenbruch«, dachte ich und überlegte, ob ich mir noch einen zweiten Kaffee leisten konnte. Ich konnte nicht. Eine Überprüfung des Inhalts meines Geldbeutels machte mir das schnell deutlich. Es sei denn, ich wäre bereit gewesen, Algerien schon nach einer Woche wieder zu verlassen.
    Ich stand auf und ging Richtung Kasbah, der burgähnlichen Altstadt Algiers. Ich wusste, dass es dort schwere Kämpfe gegeben hatte. Ich musste aufpassen, dass man mich nicht für einen Franzosen hielt. Das Problem löste sich schnell. Hundert Meter vor dem Eingang zur Kasbah sprachen mich drei junge Algerier an und fragten, woher ich komme. Als sie hörten, dass ich Deutscher war, strahlten sie bis über beide Ohren. Sie fragten, ob sie mir die Kasbah zeigen dürften.
    Natürlich durften sie. Einer von ihnen ging in den engen, gewundenen Gassen stets einige Meter voraus und rief: »C’est un Allemand« – »Er ist Deutscher.« »Als Franzose würdest du hier keine zehn Meter weit kommen«, erklärten sie mir. »Die haben zu viele Männer aus der Kasbah verschleppt und getötet.«
    So verbrachte ich mitten im Krieg einen entspannten Nachmittag in der Kasbah, dem angeblich gefährlichsten Ort Algeriens. Seit Monaten war kein Ausländer mehr hier gewesen.
    Abends war ich Gast der Familie Hassans, eines der drei Jungen. Er war der Stärkste der Gruppe. Als mich auch die anderen einladen wollten, sagte er feixend: »Wir können das ja auskämpfen.« Aber darauf hatten die zwei Kleineren keine Lust gehabt.
    Die Eltern Hassans waren bedrückt. Der Krieg, der nun schon sechs Jahre dauerte, steuerte auf eine Entscheidung zu. Welche, das wusste niemand. Der französische Fallschirmjägergeneral Jacques Massu hatte die algerische Befreiungsbewegung FLN 1957 in der Schlacht von Algier vernichtend geschlagen. Er hatte ihr zumindest in Algier das Rückgrat gebrochen. Die Franzosen hatten gefangene algerische FLN -Kämpfer derart gnadenlos und systematisch gefoltert, dass fast alle die Namen ihrer Mitkämpfer preisgegeben hatten. Das hatte nicht nur zur Ausschaltung ihrer Kameraden geführt, es hatte auch die Gefolterten zerbrochen.
    Der Riss ging durch viele Familien, auch durch die Familie Hassans. Einige seiner Vettern waren monatelang gefoltert worden. Hassans Eltern wollten mir nicht sagen, mit welchem Ergebnis. Trotzdem wollten sie weiterkämpfen. Wie ihre Väter und Großväter. Seit die Franzosen 1830 Algerien besetzt hatten. »Zur Bekämpfung der Piraterie«, wie man damals behauptete.
    Die Gräueltaten der französischen Truppen hatten längst ihr Echo in genauso brutalen Terrorakten der algerischen FLN gefunden, auf die nun auch die französischen Siedler mit Terrorismus reagierten. Der Krieg war nur noch schmutzig. Hassans Vater rutschte jetzt doch heraus, dass zwei seiner Söhne von französischen Siedlern getötet worden waren. Weil sie von einem Vetter verraten worden seien, sagte er bitter.
    Dann ging er ans Fenster und lauschte. Ein Auto hatte sich genähert. Alle waren ganz leise, bis er Entwarnung gab. Abends komme es häufig zu Anschlägen französischer Terrororganisationen, erklärte Hassans Vater seine Vorsicht. Man müsse höllisch aufpassen.
    Dann fragte er, ob ich heute Morgen bei meinem ersten Kaffee in Algier gesehen hätte, was im Nachbarcafé geschehen sei. Es habe ein règlement de compte gegeben – eine Abrechnung. »Zwei Algeriern wurde die Kehle durchschnitten. Wir wissen nicht, von wem. Keiner weiß hier, wer hinter was steht.«
    »Banalität des Krieges«, hatte ich am Morgen noch gedacht und war doch ganz in der Nähe einer seiner mörderischen Aktionen gewesen. Ich war froh, dass ich nicht mehr gesehen hatte.
    Wenige Tage später saß ich auf dem Bahnhof von Algier in einem Eilzug nach Constantine. Der Zug war voller englischer und deutscher Fremdenlegionäre. Einige waren betrunken. Besonders ein deutscher Legionär lallte bedenklich, als er mir von seiner Freundin erzählte. Sie hatte ihn verlassen, als man in Deutschland wegen eines Diebstahls nach ihm fahndete. Den Diebstahl hatte er angeblich nicht begangen. Aber so seien die Frauen.
    Dann berichtete er von seinen »Heldentaten« in
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