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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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starken Windes außerhalb Bizertas gelandet seien. Es sei nationale Pflicht jedes Tunesiers, den Sicherheitskräften bei der Suche nach den Fallschirmjägern zu helfen.
    Auch bei meinen tunesischen Freunden war die Aufregung groß. Der Ausbau der militärischen Landebahn war in ihren Augen eine absichtliche Demütigung Tunesiens. Die Vertreibung der Bevölkerung Bizertas erst recht. Wir diskutierten bis Mitternacht. Dann fiel ich in einen tiefen Schlaf.
    Doch der dauerte nicht lange. Vor dem Haus hatten sich Hunderte von Menschen zusammengerottet, arabische und französische Parolen rufend. Ich hörte, wie mein Gastgeber Junis nach draußen eilte. Dort wurde er in einen heftigen Wortwechsel verwickelt. Aus den lauten Parolen wurden Sprechchöre, gegen die er sich nach einer Weile nicht mehr durchsetzen konnte. Es gelang ihm gerade noch, ins Haus zurückzukommen und die Tür zu verriegeln.
    Verstört steht er vor mir. »Jemand hat dich beim Betreten des Hauses gesehen. Sie halten dich für einen französischen Fallschirmjäger. Sie wollen das Haus stürmen. Gib mir deinen Pass, ich versuche es noch mal.«
    Junis hat Schwierigkeiten, überhaupt aus dem Haus herauszukommen. Die immer größer werdende Menge drängt gegen die Tür. Ich höre, wie er schreit, schimpft, fleht. Doch die Antworten der Wortführer der Menge werden nur noch wütender. Die Zerstörung Bizertas, die Aufrufe im Radio haben die Menschen aufgewühlt.
    Wieder höre ich das Geräusch der laut zugeschlagenen Tür. Dann steht Junis erneut vor mir: »Du musst raus und dich zeigen. Sie haben uns zehn Minuten Zeit gegeben. Dann wollen sie das Haus angreifen. Nimm deinen Pass mit.« Junis schämt sich. Gastfreundschaft ist in der arabischen Welt eines der höchsten Güter. Und jetzt muss er mich dem Risiko aussetzen, dass ich draußen gelyncht werde.
    Aber es gibt keine andere Möglichkeit. Ich ziehe mich an, nehme meinen Pass und gehe zur Tür. In meiner Khakihose und meinem Khakihemd kann man mich in der Tat für einen etwas schmächtigen Fallschirmspringer halten. »Ich komme mit«, sagt Junis tapfer. »Ich stelle mich vor dich. Da du größer bist, kann man dich auch so sehen.« Wir gehen raus. Vor Aufregung bekomme ich kaum Luft. Als wir auf der Straße stehen, schiebe ich Junis beiseite und gehe auf die Leute zu. Den geöffneten Pass halte ich hoch.
    Es wird plötzlich ganz ruhig. Diesen kurzen Augenblick der Stille versuche ich zu nutzen. So freundlich ich kann, rufe ich auf Arabisch und Französisch: »Anna Almani – je suis Allemand – ich bin Deutscher.« Gleichzeitig halte ich dem Mann, der am weitesten vorne steht und offenbar einer der Wortführer ist, meinen Pass vor die Nase. Auf Französisch sage ich: »Schau, ich bin wirklich Deutscher. Hier ist mein Pass. Ich lasse ihn dir. Aber ich brauche ihn wieder.«
    Der etwa 30-jährige Mann blättert und blättert. Das meiste kann er wahrscheinlich nicht lesen. Außer »Deutschland« und »Germany«. Das müsste eigentlich reichen, hoffe ich. Der Mann schaut mich mehrfach prüfend an. Dann ruft er fröhlich, als wäre nichts gewesen, auf Französisch: »Er ist wirklich Deutscher.« In diesem Augenblick bricht ein Jubel aus, als sei ich ein Fußball-Star. »Er ist Deutscher«, rufen die Leute mit leuchtenden Augen. Und Junis fügt laut hinzu: »C’est un ami! – Er ist ein Freund!«
    Ich werde herumgereicht, muss Dutzende Hände schütteln. Die Menschen lachen mich so herzlich an, dass ich fast die Angst vergesse, die mir eben noch die Kehle zuschnürte. Da alle gerade so freundlich zu mir sind, frage ich, ob mich einer von ihnen nach Bizerta fahren könne. Jetzt ist die Begeisterung nicht mehr zu bremsen. Jeder will mithelfen, den Deutschen nach Bizerta zu bringen. Die Welt soll erfahren, was dort geschehen ist.
    Nach ein paar Minuten finden wir einen Einwohner Bizertas, der bereit ist, mich in die evakuierte Stadt zu fahren. Obwohl das streng verboten ist. Mehmed, so heißt er, wird sagen, er habe wichtige Medikamente in seiner Wohnung vergessen. Herzlich werden Junis und ich verabschiedet. Gegen 2 Uhr morgens fallen wir endlich in den hart verdienten Schlaf.
    Am nächsten Morgen geht es in einem alten Peugeot Richtung Bizerta. Nach einer knappen Stunde nähern wir uns der geräumten Stadt. Mehmed erklärt den französischen Soldaten an den zahlreichen Straßensperren, dass er aus Gesundheitsgründen dringend in seine Wohnung müsse. Was ich in Bizerta suche, will niemand wissen. Wir werden
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