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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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mich durchaus zurechnungsfähig, sprachen klar und gewandt, zeigten einen angenehmen Humor, gute Tischsitten und überhaupt gefeilte Manieren. Nach einer halben Stunde hatten sie jegliche Scheu abgelegt, befragten Mendelssohn zu seinem Handicap und gaben Gutachten über die übrigen Nachbarn ab: Die Frau aus dem Geisterhaus, das Sommerkleidchen, hieß in Wirklichkeit Marita, man könne sie aber auch ungestraft und zu Recht als »Plumpskuh« bezeichnen. Und ja, der rücksichtslose, Krawall verbreitende Freund der Plumpskuh sei ihnen auch bekannt. Ein wenig
von seinem notorischen Klangteppich würde sogar bis in ihr Haus dringen …
    Außerdem wohnten in der Straße noch:
    1 Journalist nebst Gattin;
    1 Zahnarzt nebst Gattin plus Tochter;
    1 Verwaltungshirsch, der soo falsch und bösartig sei, dass er sogar einen schweren Krebs besiegt habe, einfach deswegen, weil er selbst noch bösartiger als jener Krebs gewesen sei;
    1 Chirurg nebst Freundin
    sowie diverse Rentnerinnen und Rentner nebst Hunden und Katzen.
    Die familiären Verhältnisse unserer neuen Nachbarn erwiesen sich auch als sehr klar:
    Sie waren vier Geschwister (ein Junge und drei Mädchen), lebten seit zehn Jahren in dem Haus, welches ihr Vater für sie gekauft habe, und da man so gut miteinander auskäme, gäbe es auch keinen Grund, an dieser Wohngemeinschaft irgendetwas zu ändern. Dann fragte Mendelssohn nach ihren Berufen.
    Katharina-Pferdeschwanz grinste. Laura-Pagenkopf ebenfalls. Ritchie begann umständlich zu erklären: Sie seien noch alle in der Ausbildung.
    »Aha«, sagte Mendelssohn und hinter seiner schwarzen Brille türmten sich Fragezeichen.
    »Ja«, sagte Laura, »wir sind alle ein bisschen – spätberufen.«
    Katharina lächelte fein: »ICH werde demnächst Psychologie studieren. Jura hab ich schon und BWL auch.
Außerdem bin ich Goldschmiedin. Aber ich denke, Psychologie wird für mich der richtige Bringer!«
    »Aha«, wiederholte Mendelssohn mit noch mehr Fragezeichen.
    Laura erklärte, sie habe Kunstgeschichte fertig studiert und werde sich als nächstes wahrscheinlich der Germanistik widmen. Es sei denn, dieses Studium würde ihr – wie sie von einigen Kommilitonen bereits gehört habe – die Freude an der Sprache verderben. Denn dann würde es wohl auf das Studium der Zahnmedizin hinauslaufen. Es könne ja nie schaden, einen Zahnmediziner in der Familie zu haben. Außerdem bastle sie gerne; Reparieren oder Restaurieren sei sowieso ihr Hobby. Und nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Obwohl mir die Patisserie auch schmecken könnte!«
    Diesmal entfuhr mir ein »Aha«. Und als der Knabe Ritchie erzählte, er werde erst eine Ausbildung zum Autoschlosser machen, um danach eventuell Erzieher zu lernen, blieben sowohl Mendelssohn wie auch ich stumm. Was trieben diese Nachbarn denn sonst noch alles? Hatten sie sich vorgenommen, dass bis zur Rente jeder Berufsstand mindestens ein Mal in ihrer Familie vertreten sein sollte? »Und unsere Jüngste, die Marvie, ist auf der Schauspielschule«, ergänzte Katharina. »Und ihr? Was macht ihr so?«
    Mendelssohn erzählte, dass er eigentlich mit Leib und Seele Antiquar gewesen sei, bis ihm die Erblindung leider einen Strich durch die Rechnung gemacht habe. Jetzt sei er einfach eine Mischung aus Frührentner und Privatier.
»Und mein Kollege hier« – dabei wies er auf mich, aber ich kam ihm zuvor: »Ich bin bei der Post!«, sagte ich rasch. Das sage ich immer wieder gerne, weil dann keine Nachfragen kommen. Und weil ich es zu kompliziert finde, meinen wahren Broterwerb zu schildern: »Ich schreibe manchmal Texte, aber hauptsächlich hänge ich mit meinen Freunden ab.« Denn danach folgt sofort die Frage: »Welche Art von Texten?«, und ich bin aufgeschmissen. Ich weiß nicht genau, wie man das nennt, was ich mache.
     
    D a wir uns noch in der Frühsommerphase befanden, wanderte die Sonne recht zügig wieder hinter die Erde und der kälteempfindliche Mendelssohn begann zu frösteln. Katharina bot ihm zwar eine Jacke an, aber Mendelssohn und ich brachen auf, unter dem Hinweis, dass da noch einige Kisten auf ihre Entleerung warteten. Die Geschwister Lövenich signalisierten Verständnis und entließen uns mit der Aufforderung, sich bei Fragen, Problemen oder irgendwelchen sozialen Bedürfnissen immer gerne an sie zu wenden.
    Ritchie brachte uns zur Tür.
     
    D a hast du aber eine interessante Nachbarschaft«, sagte ich. Mendelssohn bestätigte: »Sie sind weder ruhig noch unauffällig, also
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