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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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körperlich weh und beschert mir Gewaltfantasien, so schlimme Gewaltfantasien, dass sie es bestimmt mit denen von Stalins Geheimdienstchef Berija aufnehmen könnten, der ja bekanntlich sogar »Arbeit« mit nach Hause nahm bzw. in seinem Privatkeller nach Dienstschluss noch ein wenig weiterfolterte …
    Mendelssohn war auch auf hundertachzig. Dieser sonst so besonnene Bursche schrie: »Töte ihn!«, und wir drohten und fluchten uns wechselseitig in Rage. Nach einer sehr langen Weile öffnete sich die Tür des Geisterhauses und heraus trat – ein kurzes Sommerkleidchen. Das Sommerkleidchen flatterte in Segelschuhen auf das Cabrio zu, beugte sich über den Wagenrand, küsste den Chauffeur
und stieg dann sehr langsam in das aus allen Rohren brüllende Auto. Sodann erfolgte ein Kavalierstart und das Wummern entfernte sich. »Oha«, sagte Mendelssohn. »Will der das öfter machen?«
    Ich beruhigte ihn: »Falls ja, wird uns schon was einfallen. Keine Sorge. Ich kann da Fantasien entwickeln – ich sage nur: Berija!«
    Und Mendelssohn ergänzte verträumt: »Nadeln unter die Fingernägel. Oder du lässt ihn seinen CD-Player schlucken.«
    »Beides gut!«
    »Bei denen geh ich mich aber nicht vorstellen!«
    »A propos: Fünfzehn Uhr. Wollen wir?«
    »Also los!«
     
    I ch hakte Mendelssohn unter, wir marschierten aus dem Haus durch den kleinen verwilderten Vorgarten und bogen in den ebenfalls verwilderten unserer Nachbarn ein. Auf einem Schild unter dem Klingelknopf stand krakelig der Name »Lövenich«. Ich drückte den Knopf, und statt einer Klingel ertönte eine Art Pausengong wie in einer Schule. Ein unvermutetes Geräusch, das sofort Assoziationen freisetzte: ABC-Schützen, Bohnerwachs, Werken und Brennball. »Schon sympathisch!«, murmelte Mendelssohn.
    Dann öffnete sich die Tür und wir standen vor einem langen dünnen Kerlchen von etwa zwanzig Jahren. Eine schmutzige Jeans und ein ebenfalls unreines T-Shirt schlabberten um ihn herum. Er betrachtete uns und sagte vorsichtig: »Ja bitte?«

    Mendelssohn holte tief Luft und legte los: Er sei der neue Nachbar. Und wolle sich kurz vorstellen. Und er habe das Haus da gekauft (er deutete wuschig in Richtung Villa, denn »offizielle« Situationen machten ihn stets befangen) und würde sich über eine gute Nachbarschaft freuen. Das Kerlchen schien seltsam erleichtert, trat zur Seite und sagte: »Ja, das ist ja nett! Wollen Sie nicht reinkommen?«
    Mendelssohn nickte heftig und wir traten in einen Vorraum, der im Gegensatz zu Mendelssohns Vestibül in hellen Farben gestrichen und mit allerlei Fahrrädern, Fahrradanhängern und unrestaurierten Möbelstücken vollgestopft war. Das Kerlchen schlingerte voraus durch das Wirrwarr und führte uns durch ein großes Wohnzimmer in den Garten. Unter einem riesigen Sonnenschirm standen einige höchst bequem aussehende Gartenmöbel, und darauf lagerten zwei Damen unbestimmbaren Alters.
     
    I ch habe immer wieder Schwierigkeiten, für Mendelssohn das Alter von Menschen einzuschätzen. Ständig liege ich falsch. Mal vertue ich mich um zehn Jahre nach oben, mal um zwanzig nach unten. Diese Mädchen hier schätzte ich auf – na, sagen wir mal: die eine auf dreißig, die andere auf vierzig. Insgesamt also eine Alterszusammensetzung, die viel Raum für Spekulationen ließ: War das Bürschlein ein Sohn? Oder ein Bruder? Oder ein etwas seltsamer Gigolo? Oder waren die Mädels seine Mütter? Oder Cousinen? Oder gar solche Flittchen wie das Sommerkleidchen von gegenüber? Nein, wie Flittchen sahen sie mir nicht
aus. Die Ältere trug einen sympathischen Pferdeschwanz zum sommerbesprossten, ernsten Gesicht, die Jüngere einen korrekt-kantig geschnittenen Pagenkopf, allerdings war ihr Blick irgendwie unernst, beinahe schalkhaft. Die beiden richteten sich aus ihren Gelagemöbeln auf, setzten sich zurecht, sahen uns erwartungsvoll an und musterten vor allem Mendelssohns Blindenstock. Das Bürschlein stellte uns als die neuen Nachbarn vor und dann nannte ein jeder seinen Namen. Die Ältere hieß Katharina, die jüngere Laura, und das Bürschlein stellte sich als »Ritchie« vor. Und man möge doch Platz nehmen.
    Ich schob Mendelssohn auf eine Holzbank und setzte mich daneben. Der Knabe Ritchie holte zwei Tassen aus dem Haus und schenkte uns Tee ein.
     
    B ehutsam bahnte sich das Gespräch an, um bereits keine zehn Minuten später in ein gelockertes Plaudern überzugehen. Offenbar hatten die neuen Nachbarn ihre Zwetschgen beisammen. Sie wirkten auf
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