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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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tupfte nun wild auf dem hellen Leder des Beifahrersitzes herum, auf dem sich ein schillernder Placken grünlich dehnte: Schnipsel von Kräutern gepaart mit Fettaugen; es sah original so aus, als hätte sich jemand in hohem Bogen in das Cabrio hinein übergeben. Der Depp wollte schreien, bemerkte Mendelssohns Handicap und zwang sich zu einem ruhigeren Ton, während Mendelssohn etwas von seiner Haftpflichtversicherung laberte. Und erklärte, dass ihn Lärm oder auch schöne Musik von zu großer Lautstärke geradezu kopflos mache. Egal, wie klasse er die Musik auch fände: Ab einer gewissen Lautstärke gehe er seiner Orientierung verlustig, ja, gerate er in eine Art Taumeln …
    Die Plumpskuh erschien mit einer Rolle Küchenkrepp und verschmierte den Placken zu einer großen hellgrünen Fläche. Der Depp schimpfte sie dafür aus, er und Mendelssohn tauschten kurz und knackig Adresse und Versicherungsdaten, der Depp stellte die Musik aus, setzte ein süß-saures Gesicht auf und brauste schließlich mit seinem glutamatgetränkten Bollerwagen davon. Ohne Kavalierstart.
     
    W ir studierten seine Visitenkarte. Depp hieß mit bürgerlichem Namen Thorsten und schien der Chef einer Firma namens »global account supervising«. Wir hatten also keinen Schimmer, womit unser Thorsten sein Geld verdiente, vermuteten aber irgendetwas höchst Unappetitliches.
    Ich klemmte die Karte hinter den hohen Spiegel im Vestibül: »Die werden wir noch brauchen.« Mendelssohn
schmunzelte und entbot den Gruß der seinerzeit Jungen Pioniere: »Immer bereit!«
    Und ich hatte sogar die wunderschöne Marvie vergessen.
     
    E rst als ich Mendelssohn gen Abend verließ, wurde ich wieder mit ihrer mich beunruhigenden Existenz konfrontiert. Just als ich an meinem Fahrradschloss fummelte, kam sie die Straße entlanggeradelt. Sie wirkte etwas erschöpft, aber zufrieden. Das hochgerutschte Sommerkleid ließ Bein frei. Im Dekolleté machten sich leicht hupfend ein paar erahnbar entzückende Brüste bemerkbar. Mir wurde so weich in den Knien, wie ich es lange nicht mehr erlebt hatte. Und die Tatsache, dass ich jetzt nicht zu ihr rübergehen konnte, um sie ins Haus zu begleiten, woselbst wir in ihrem Zimmer erst ein wenig quatschen und dann ein bisschen was ausziehen würden, bereitete mir plötzlich Pein. Eine Sehnsucht, die sich irgendwie – hohl anfühlte. Als wäre ich ein Schoko-Nikolaus. Oder ein ausgehöhlter Kürbis. Oder ein kaputter Zahn ohne Plombe. Oder… mein offenbar verwirrter Geist setzte einen Strudel von hinkenden Vergleichen frei.
    Marvie grüßte mich wieder, wie am Morgen, und als wüsste sie genau, wer oder was ich war. Sicher hatten ihr die Geschwister von uns berichtet.
     
    W as hatte ich gestern eigentlich alles gesagt? Was für eine Figur hatte ich gemacht? War ich zu lasch, uninteressant oder vage gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern! Ich
hatte einen Filmriss! Ohne Drogen und bei lebendigem Leibe! Das Fahrradschloss klemmte. Ich doktorte daran herum. Marvie musste ja glauben, ich sei hauptsächlich damit beschäftigt, an Fahrradschlössern herumzupuhlen. Sie verschwand im Haus. Ich fuhr nach Hause und fühlte mich noch hohler als hohl.
    Um diesem Gefühl der Leere zu entkommen, radelte ich beim Supermarkt meines Vertrauens vorbei. Der Hinterhof war verlassen, der Container proppenvoll. Ich stemmte mich auf den Rand des Containers und begann mit in der Luft rudernden Beinen und kopfüber meine übliche Inspektion. Eine Schachtel mit sechs Bio-Eiern. Drei davon nicht kaputt. Ab in meine Tüte. Einige eingedellte Tomaten. Her damit. Ein Eisbergsalat mit zwei braunen Außenblättern. Das sah mir alles nach einem abendlichen Salat »Nicoise« aus. Ich tastete verschlossene Müllsäcke ab wie der Internist ein akutes Abdomen. Die Beutel waren viel zu leicht, also enthielten sie nur Verpackungsmaterial. Meine Finger gerieten an defekte Quarkbecher und in ein aufgeplatztes Joghurt. Verklebt zog ich mich mit meiner Beute zurück.
    Was führte ich bloß für ein seltsames Leben.
    Und: Was würde wohl Marvie sagen, wenn sie mich so sehen könnte.
     
    I n der Nacht rief ich meinen Freund Cromwell an. Er arbeitete für ein halbes Jahr als Ersatzlehrer an seinem alten Internat. Da er an enormer Schlaflosigkeit leidet, kann ich ihn zu JEDER Nachtzeit anrufen. Ja, Cromwell könnte
quasi als Insomniamaskottchen arbeiten. Erst gegen fünf Uhr fällt er gemeinhin in einen kurzen Schlaf. Die fehlenden sechs Stunden versucht er gegen vierzehn
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