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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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geradezu schmerzhafter Erregung; erst mein Auftritt als Samariter, Ritter und Retter, hernach fließender Übergang zum Tröster, Umarmer und schließlich süßest-orgiastische Vermählung unserer begeistert transpirierenden Körper – an genau diesem Punkt meiner Fantasie schob sich plötzlich ein ernüchterndes Bild vor meine Linse. Ein bösartiger Geist evozierte vor meinem inneren Auge ein Selbstportrait, und zwar … a portrait of the artist as a container-man … Und ich sah mich selbst, über einem Tonnenrand hängend, mit Joghurt am Finger und Schmerzen im Herzen, und wieder etwas später, in einem großen, kalten Krankenhausbett liegend, mit letzten Gedanken an ein ebenso süß wie bitter gewesenes Leben, auf alle Fälle: an ein kurzes Leben; zu kurz, um mit Marvie sämtliche Leidenschaften durchdekliniert haben zu können, und wenn der Schöpfer einst fragt: »Wat haste aus dei′m Leben gemacht?«, dann muss ich wahrheitsgemäß antworten: Mit Joghurt an den Fingern über′m Tonnenrand gehangen, den Bürzel nach oben und Schmerzen im Herzen …

    So fand mich Mendelssohn vor: reglos in einem Gartenstuhl hängend und auf meine Schuhe starrend.
    »Hi«, sagte ich lahm. Mendelssohn taperte um den Tisch herum, hievte sich in seinen Sommersessel, dessen Rückenlehne man nach hinten in Liegehaltung klappen konnte und machte sich lang. Er grunzte wohlig und reckte sein Gesicht der Sonne entgegen. Nach einer Weile des offensichtlichen Wohlseins sagte er herzlos: »Ich brauche noch einen Küchengarten.«
    »Hm.«
    »Petersilie, Schnittlauch und alle ihre Kompagnons.«
    »Bin schon unterwegs.«
     
    D er Ausflug in den Bau- und Gartenmarkt brachte mich wieder in Stimmung. Ich kaufte die nötigen Sämereien, betrachtete Schwingschleifer und Bohrmaschinen, liebäugelte sogar kurzfristig mit einem appetitlich rot lackierten Zementmischer, riss mich dann aber gerade noch am Riemen und radelte zurück.
    Marvie stand auf der Treppe. Vor ihrem Gartentor hielt ein staubgraues Auto. Ihm entstieg eine Wurst von einem Mann. Etwa ein Meter siebzig Länge. Beziehungsweise Kürze. Schätzungsweise zwischen vierzig und fünfzig. Eine Haarfarbe war nicht auszumachen, denn er trug trotz der Jahreszeit Hut. Und zwar keinen leichten Sommerhut, sondern ein Gerät aus grauem Filz, aus der Ferne an den notorischen Hut Martin Walsers gemahnend. Staubgraues, um die Hüften spannendes Existenzialisten-Outfit. Dazu ein Grinsen im runden Gesicht, das irgendwie
unverschämt meiner Marvie entgegenbleckte. Marvie selbst: Schön wie gestern und vorgestern, die Sonne schielte von der Seite durch ihr Kleid, mir fielen fast die Augen aus den Höhlen, der Wurstmann trat ihr zu nahe, sie umarmten sich, er ließ seine Hände auf ihrem Rücken herumgleiten, und dann setzte es einen entsetzlich langen Zungenkuss. Nach gefühlten vierundzwanzig Stunden des Ineinandergestülptseins verschwanden die beiden im Haus. Besinnungslos schleppte ich mich in die Küche. Die Küchentür zum Garten und das Küchenfenster waren weit geöffnet. Ich stellte mich in den Luftzug und goss mir eine Limo ein. Der Luftzug war bitterkalt und fühlte sich böse an. Als hätte er einen schlechten Charakter. Gab es Naturerscheinungen mit Charakter? Einen bösen Zug, einen hinterhältigen Luftwirbel? Garantiert. Und draußen, hinter der Mauer: ein Zwiegespräch. Marvies helle, raue Stimme. Enorm sexy, diese beiden Gegensätze vereint auf einem Atemstrom zu hören. Und ein knödelnder Bass. Ein Geräusch wie aus einem Gulli. Eine Stimme wie aus dem Dickdarm. Wenn Bockwürste sprechen könnten, dann würden sie so sprechen! Mendelssohn lag noch immer in seinem Sessel und hatte wieder seine Richtmikrofone gespitzt. Ich setzte mich daneben, und gemeinsam lauschten wir der Schönen und dem Aufschnitt:
    »… eventuell am Theater Soundso … und jetzt doch die zweite Spielzeit dortunddort … aber das neue, das wird richtig Furore machen …«
    Nach fünf Minuten lagen alle Fakten vor uns auf dem
Tisch: Der Wurstmann schrieb offenbar Theaterstücke, die auch tatsächlich irgendwo aufgeführt wurden. Er schien sehr gerne über seine Arbeit zu reden. Was wo gespielt wurde und mit welchen Promis besetzt war. Bei dem Theatergänger Mendelssohn fiel ein Groschen und er zischte mir zu: »Ach, DER ist das!« Und er deutete szenisch an, ins Gras kotzen zu wollen. Der Wurstmann schwadronierte weiter. Wenn selbstgefällige Würste sprechen könnten, dann so! Schade, dass der Typ kein
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