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Du bist nie allein

Du bist nie allein

Titel: Du bist nie allein
Autoren: Nicholas Sparks
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unterhalten müssen, entschied sie. Singer wollte doch sicher nicht, dass sie allein blieb, oder? Nein, natürlich nicht. Möglicherweise würde es etwas dauern, bis er sich an jemand anderen gewöhnt hatte, aber letzten Endes würde er es schon verstehen. Und mit der Zeit würde er sich wahrscheinlich sogar für sie freuen. Wie aber sollte sie ihm das alles am besten erklären?
    Sie hielt kurz inne, um diese Frage zu überdenken, als ihr jäh bewusst wurde, was sie da gerade dachte.
    Ihm das alles erklären? Gütiger Gott, dachte sie, ich werde langsam verrückt.
    Julie humpelte in Richtung Bad, um sich für die Arbeit zurechtzumachen, und zog schon auf dem Weg den Pyjama aus. Kurz darauf blickte sie in den Spiegel. Sieh dich an, dachte sie, du bist neunundzwanzig und gehst langsam in die Breite. Beim Luftholen taten ihr die Rippen weh, ihr großer Zeh pochte, und der Spiegel machte die Sache auch nicht besser. Tagsüber war ihr langes braunes Haar ganz glatt, aber frühmorgens sah es aus, als sei es von Kissengnomen mit Toupierkämmen attackiert worden. Es hing wild und strähnig um ihr Gesicht herum, »unter Belagerung«, wie Jim es immer so liebenswürdig genannt hatte. Wimperntusche war auf der Wange verschmiert. Die Nasenspitze war gerötet, und ihre grünen Augen waren von Frühlingspollen geschwollen. Aber eine Dusche würde da sicher Abhilfe schaffen, nicht?
    Nun, was die Allergie betraf, vielleicht nicht. Julie öffnete das Arzneischränkchen und nahm eine Claritin.
    Vielleicht musste sie am Ende gar nicht so viel tun, um Bob abzuwehren. Seit einem Jahr schnitt sie Bob nun die Haare – oder vielmehr das, was davon übrig war. Und zwei Monate zuvor hatte Bob endlich den Mut aufgebracht, sie um eine Verabredung zu bitten. Ein Adonis war er nicht gerade – Halbglatze, Mondgesicht, zu eng stehende Augen und deutlicher Bauchansatz –, aber er war Single und erfolgreich, und Julie war seit Jims Tod nicht mehr mit einem Mann ausgegangen. Bob war eine gute Gelegenheit, erste neue Gehversuche in der Welt des Dating zu unternehmen. Fehler. Denn er war nicht ohne Grund Single. Nicht nur mit seinem Aussehen haperte es gewaltig, bei ihrem Rendezvous in einem Restaurant war er dermaßen langweilig gewesen, dass selbst Leute an benachbarten Tischen mitleidig in ihre Richtung geschaut hatten. Sein Lieblingsthema war die Buchhaltung. An nichts anderem hatte er Interesse gezeigt: nicht an ihr, nicht am Essen, nicht am Wetter, nicht an Sport, nicht an dem kleinen Schwarzen, das sie trug. Nur an Buchhaltung. Drei Stunden lang hatte Julie Bob gelauscht, während er sich in monotonem Singsang über spezifierte Abzüge und Streuung von Kapitalerträgen, Abschreibungen und Umschuldungen verbreitete. Gegen Ende des Abendessens, als er sich über den Tisch gebeugt und ihr anvertraut hatte, er kenne »wichtige Leute bei der Finanzbehörde«, hatte Julie bereits buchstäblich glasige Augen.
    Bob dagegen hatte sich offenbar prächtig amüsiert. Er hatte seither dreimal angerufen und gefragt, ob sie sich nicht »zu einer zweiten Beratung treffen könnten, hihihi«. Hartnäckig war er, so viel stand fest. Lästig wie sonst was, aber hartnäckig.
    Dann war da Ross, der zweite Mann, mit dem sie sich getroffen hatte. Ross, der Arzt. Ross, der Schönling. Ross, der Perversling. Ein Treffen mit ihm reichte völlig, vielen Dank.
    Und nicht zu vergessen der gute alte Adam. Er arbeite im Staatsdienst, sagte er. Seine Arbeit mache ihm Spaß, sagte er. Er sei ein ganz normaler Typ, sagte er.
    Adam, stellte Julie fest, arbeitete in der Kläranlage.
    Er muffelte nicht, ihm wucherten keine unbekannten Substanzen unter den Fingernägeln, sein Haar wies keinen öligen Glanz auf, aber Julie wusste, sie würde sich nie im Leben an die Vorstellung gewöhnen, dass er eines Tages in genau dem Zustand an der Haustür auftauchen könnte.
Hatte ’n Unfall im Werk, Liebes. Tut mir Leid, so nach Hause zu kommen.
Schon bei dem Gedanken überlief es sie. Die Beziehung stand von Anfang an unter keinem guten Stern.
    Als sie schon zu grübeln anfing, ob es überhaupt noch normale Menschen wie Jim gab, als sie sich zu fragen begann, was sie wohl an sich hatte, das offenbar Sonderlinge anlockte wie ein Neonschriftzug, der blinkend verhieß,
Bin zu haben – Normalität keine Vorbedingung,
war Richard auf der Bildfläche erschienen.
    Und, o Wunder, selbst nach ihrem ersten Date letzten Samstag wirkte er immer noch…
normal.
Er war als Gutachter für J. D. Blanchard
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