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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben
Autoren: K Weßling
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Verstehe. Und wie äußern sich diese Probleme ?«
    Nun, normalerweise betrinke ich mich, wenn es finanziell möglich ist, täglich und für gewöhnlich ab mittags. Außerdem versuche ich, wenig zu essen, damit man auch sieht, wie verdammt schlecht es mir geht, und außerdem bleibt dann mehr Geld für den Schnaps und die Zigaretten. Bevor Sie fragen: Ich rauche ungefähr zwei Schachteln täglich. Manchmal auch nur eine, das liegt dann am Husten und an den Halsschmerzen, die kriegt man, wenn man diese billigen Dinger vom Discounter raucht. In der Regel schalte ich als Erstes meinen Computer an, wenn ich aufwache. Das ist nicht schwierig, denn der liegt noch neben dem Bett, wo ich ihn in der Nacht liegen gelassen habe, wenn ich mir Pornos und anderen Dreck angesehen habe, um mich nicht so alleine und so verdammt ausgetrocknet zu fühlen. Wissen Sie, für ein Mädchen in meinem Alter ist das schon eine ganz schön schwierige Sache, immer so alleine zu sein, da muss man sich ab und an den Finger reinstecken, sonst bekommt man das Gefühl, dass da gar nichts mehr passiert, und leider ist das aber so, dass man sich danach nicht besser oder geliebter oder irgendwie gut fühlt, sondern ganz im Gegenteil, man fühlt sich ekelig und schmutzig, und das Ganze dauert ja höchstens ein paar Minuten, das kennen Sie ja vielleicht auch, und dann klickt man den Film weg und versucht zu verdrängen, dass man es irgendwie geil findet, wenn Frauen mit überdimensional großen Brüsten geschlagen und gestoßen werden, aber irgendwie ist man ja auch froh, dass da überhaupt noch was geht im Höschen, bei den ganzen Tabletten, die man so nehmen muss und die von der Libido so viel übrig lassen wie diese scheiß Krankheit von dem Gefühl, noch ein Leben zu haben, das etwas mit Autonomie zu tun haben könnte und mit Glück und Selbstständigkeit und all diesen Werbebegriffen, die man im Fernsehen lernt und die einem ja sogar schon das Deo verschaffen soll, Glück und Freiheit und das Gefühl von Frische. Das Gefühl von Frische, das habe ich schon seit drei Jahren nicht mehr gehabt, das habe ich vielleicht überhaupt noch nie gehabt, wissen Sie, und wenn ich da also morgens aufwache und in meinem Bett liege und den Laptop anschalte und in eines dieser Social Networks gehe, in denen ich angemeldet bin, und wissen Sie was, ich bin tatsächlich in allen angemeldet, die es überhaupt so gibt, was absolut lächerlich ist, wenn man bedenkt, dass ich ja überhaupt gar keine Freunde mehr habe und seit Monaten überhaupt keinen sehe, weil ich mich nicht traue, das verdammte Haus zu verlassen, und weil auch niemand vorbeikommt, weil ich ja nicht an das scheiß Telefon gehe, weil das Klingeln mir Angst macht, aber selbst WENN ich drangehen würde, dann würde niemand vorbeikommen, denn wenn ich da mit meiner depressiven scheiß Stimme meine ganzen Nicht-Geschichten zum Besten gebe, während der andere in der Leitung von seinem Leben erzählt, diesem Leben, das ich gar nicht kenne, verstehen Sie, ich habe gar keine Ahnung mehr, wovon die da überhaupt sprechen, dann jedenfalls will doch keiner mehr vorbeikommen, dann wollen die nur immer Mitleid haben und trösten und sagen, dass das alles schon wieder gut werden wird, als hätten die eine Ahnung, was » das« überhaupt ist und was da » gut werden« soll und wie das überhaupt gehen soll, und in diesen verschissenen sozialen Netzwerken habe ich über zweihundert Freunde, Herr Professor, über zweihundert Freunde, und Bilder sind da, lustige Bilder, oh ja, so lustige Bilder mit mir drauf und Bilder, auf denen ich tanze und lache und singe und auf denen ich gut aussehe, so verdammt gut, das müssen Sie sich mal vorstellen! Und dann sehe ich, wie die da kommunizieren und reden und schwallen und quatschen und wie die da ihren Müll rausschleudern in dieses Netz, in dieses soziale Netzwerk, das begrifflich gestohlen ist aus einer Zeit, in der damit noch das Auffangen gemeint war, das Auffangen von Menschen wie mir, in einer Gesellschaft, in der Menschen wie ich nicht mehr klarkommen und verrecken in den Betten, in denen sie ihren scheiß Laptop öffnen und NICHTS ZU SAGEN HABEN AU ß ER : HILFE ! Aber natürlich sage ich nichts, sondern klappe den Laptop wieder zu, und dann schlafe ich einfach, bis endlich Mittag ist oder Abend oder bis ich den Fernseher anmachen kann oder bis ich trinken kann oder bis ich vor Hunger Kopfschmerzen bekomme oder bis zum nächsten Tag oder bis irgendwann. Und das, Herr
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