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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben
Autoren: K Weßling
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Telefonat mit Kropka, einem alternden Professor, dessen Telefonnummer ich von meinem Therapeuten erhalten hatte, der sich nicht in der Lage sah, mich in meinem jetzigen Zustand weiterzubehandeln. Zu schlecht ginge es mir, sagte er, zu heftig seien meine Ausbrüche, zu instabil sei meine Stimmung. Widerwillig hatte ich schließlich zugestimmt und Kropka angerufen.
    » Ja, hallo, also es geht um… es geht um einen Platz bei Ihnen, weil… es mir nicht so gut geht. Und ich vielleicht… Hilfe bräuchte.«
    Dieses Gespräch entwickelte sich schnell zu einer einzigen Tortur aus Stottern, Relativieren der offensichtlichen Tatsachen und einem zunehmenden Schmerz in meiner linken Schläfe. Ich rieb unablässig mit der einen Hand über meine Strumpfhose, versuchte, den Telefonhörer mit der anderen zu halten und dabei zu rauchen, was mir schwerlich gelang, und Professor Dr. med. Robert Kropka, leitender Oberarzt und stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie in H., zu erklären, was mein Anliegen war.
    Das Gespräch dauerte genau sieben Minuten und zweiunddreißig Sekunden, in denen Kropka mich müde fragte, was genau denn nun der Grund meines Anrufes wäre, warum gerade ich denn nun Hilfe benötigen würde, warum gerade er mir denn genau bei diesen Problemen helfen könne, warum ich gerade ausgerechnet diese Klinik ausgewählt hätte und ob mir bewusst sei, um was für eine Art der Klinik, Behandlung und Behandlungsmethode es sich denn hier handeln würde. Seine Fragen stellte er knapp, routiniert, ohne eine Spur Freundlichkeit erkennen zu lassen, und die Tonalität ließ darauf schließen, dass das Stellen dieses Katalogs an Fragen ihn über die Jahrzehnte dermaßen zu langweilen begonnen hatte, dass ihm selbst simple Höflichkeitsformen darin verloren gegangen waren.
    Ich würgte Antworten und Daten hervor, ich erklärte mit brüchiger Stimme und um Kürze bemüht, was in den letzten Monaten geschehen war, ich versuchte, aus den fragmentarischen Trümmern in meinem Kopf Sätze zu bauen, die für einen Außenstehenden verständlich sein konnten, ich kämpfte gegen die erstaunliche Arbeit der Spiegelneuronen an, die die Müdigkeit des Professors auf wunderliche Weise auf mich übertrugen und meine Gedankengänge um ein Vielfaches zu verlangsamen schienen, ich quälte meinen schmerzenden Kopf zu jenen Punkten zurück, an denen die Erinnerungen lagen, die den Grund meines Anrufes plausibel machten.
    Nachdem ich alle Fragen halbwegs stotternd beantwortet hatte und langsam begann, mich zu fragen, ob ich mich in irgendeiner Weise rechtfertigen musste, ja, ob ich vielleicht etwas Falsches gesagt oder getan hatte, ob es vielleicht sogar Unrecht war, diesen Mann zu stören und ihn um einen Termin zu bitten, nannte er mir Zeit und Datum, wünschte mir einen guten Tag und legte auf.
    Drei Tage später betrat ich zum ersten Mal die Klinik. Kropkas Büro lag im Erdgeschoss gleich neben den beiden Büros der Anmeldung.
    Ich klopfte. Ich wartete. Es passierte nichts. Ich klopfte noch einmal, als von innen mit einem heftigen Ruck die Tür aufgerissen wurde und sich vor mir ein kleiner Mann aufbaute, der mir seine winzige Hand entgegenstreckte und mit einer dunklen, gelangweilten Stimme sagte:
    » Guten Tag, Sie müssen Frau Schaumann sein. Bitte.« Mit einer Armbewegung signalisierte er mir, den Raum zu betreten, und schloss die Tür hinter mir.
    Das Büro des Professors war beinahe leer. Einzig ein Schreibtisch in der Mitte des Raumes, drei dazugehörige Stühle und ein Bücherregal befanden sich in dem Zimmer. Kropka setzte sich an den Tisch, bat mich, mich ebenfalls zu setzen, und sah mich an. Wir schwiegen. Er trug ein hellblaues Hemd, darüber einen blauen Pullover mit V-Ausschnitt und eine schlichte, blaue Krawatte. Sein Haar war grau und spärlich und sein Gesicht blass und alt. Ein alter, kleiner, grauer Mann, der mich mit seinen winzigen Augen fixierte.
    Endlich durchbrach er die Stille. » Nun, was führt Sie hierher? Sie sprachen am Telefon eine Diagnose an. Dürfte ich erfahren, um welche Diagnose es sich hier handelt?«
    » Ich habe Probleme. Richtige Probleme. Die Art Probleme, bei denen man sich besser behandeln lässt. Glaube ich.«
    » So, Sie glauben?«
    » Ja, also ich weiß es. Das hat jemand gesagt. Ärzte. Ärzte haben das gesagt. Mehrere Ärzte. Und Therapeuten. Ich war bei mehreren Ärzten und Therapeuten und in mehreren Kliniken. Deshalb. Und wegen anderer Sachen. Aber hauptsächlich deshalb.«
    »
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