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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Braunschweig zu fahren?
    A: Sie wissen ja, dass die letzten Monate nicht ganz einfach für sie waren. Vielleicht haben meine Frau und ich die Fürsorge für sie dabei etwas übertrieben, und sie fühlte sich eingeengt. Junge Menschen reagieren oft so. Man will ihnen helfen, sie empfinden das als Einmischung in ihre Angelegenheiten und machen aus jeder Lappalie ein Geheimnis.
    F: Herr Battin. Was für ein Verhältnis haben Sie zu Ihrer Tochter?
    A: Wie meinen Sie das?
    F: Nun, wenn ein junger Mann den Vater seiner Freundin, den er einmal im Leben gesehen hat, in einen Hinterhalt lockt, dann stellt man sich natürlich einige Fragen. Möglicherweise ist Herr Alsina verrückt …
    A: … wenn Sie mich fragen, so ist das genau meine Meinung …
    F: … oder er hat in Ihnen vielleicht einen Konkurrenten gesehen, denn Sie haben doch ein sehr inniges Verhältnis zu Ihrer Tochter? Ich will Ihnen damit nicht zu nahe treten. Irgendein Motiv muss Herr Alsina doch gehabt haben. Kann es sein, dass er sich eingebildet hat, zwischen Ihnen und Ihrer Tochter existiere etwas, das seine Beziehung zu Giulietta gefährden könnte? War er vielleicht eifersüchtig auf Sie? Sie müssen das natürlich nicht beantworten. Letztlich geht es hier um das rätselhafte Verhalten von Herrn Alsina, und nicht um Sie.
    A: Nein, nein, ich weiß, worauf Sie anspielen. Bitte schön. Meine Tochter ist ein außergewöhnlich attraktives Mädchen, eine schöne Frau, muss man ja wohl schon sagen. Meine Tochter hängt sehr an mir. Wenn Sie wissen wollen, ob man bei uns zu Hause nackt herumläuft …
    F: … so war das nicht gemeint …
    A: … jedenfalls hat noch kein Freund, den meine Tochter mit nach Hause gebracht hat, mir später heimlich aufgelauert.
    F: Ich denke nur laut, Herr Battin. Wenn ich hier etwas unterstelle, dann nicht Ihnen, sondern Herrn Alsina. Vielleicht liegt es daran, dass Herr Alsina Argentinier ist? Ein kulturelles Missverständnis.
    A: Möglich ist alles. Ich weiß nichts über Argentinien.
     
    Er las den Passus mehrmals durch. Hatte er irgendetwas verraten? Verraten? Es gab nichts zu verbergen, jedenfalls nicht auf dieser Ebene der »Befragung«, wie die das hier nannten. Nein, er hatte gut geantwortet. Der Beamte hatte das Thema gewechselt. Sollten sie doch glauben, was sie wollten. Er paraphierte erneut und las weiter.
     
    F: Kehren wir also zu jenem Dienstagabend zurück. Sie sagten vorhin, Herr Alsina habe Sie ins Studio gebeten, weil er und Giulietta Ihnen etwas zeigen wollten?
    A: Ja.
    F: Kam Ihnen das nicht seltsam vor? Ich meine, eigentlich hätte doch Ihre Tochter Sie anrufen müssen, oder?
    A: Ja, sicher. Natürlich kam es mir seltsam vor. Ich kannte ihn ja kaum. Ich versuchte gleich, Giulietta zu erreichen, aber ihr Telefon war ausgeschaltet.
    F: Und das hat Sie nicht misstrauisch gemacht?
    A: Misstrauisch nicht. Ein wenig unruhig vielleicht.
    F: Normal fanden Sie das also nicht?
    A: Nein.
    F: Sprachen Sie darüber, was Giulietta Ihnen angeblich zeigen wollte?
    A: Nein, das war nicht nötig. Ich wusste ja, woran sie mit ihm arbeitete. Ich hatte beim Abendessen sogar gesagt, dass ich das Solo gerne einmal sehen würde.
    F: Was für ein Solo?
    A: Kennen Sie sich ein wenig mit Ballett aus?
    F: Nein, nicht sehr. Tut mir Leid.
    A: Meine Tochter ist Praktikantin an der Staatsoper, bewirbt sich aber auch an anderen Häusern. An der Deutschen Oper wird in der nächsten Spielzeit unter anderem ein Tango-Ballett gegeben. In der Schule kommt man mit so etwas nicht in Berührung, und Giulietta fühlte sich unsicher. Sie ist mit Tschaikowsky und Adolphe Adam aufgewachsen. Tango ist zur Zeit anscheinend wieder in Mode, und irgendwie kam sie hier in Berlin in Kontakt mit Leuten aus diesem Milieu. So hat sie diesen Tänzer kennen gelernt. Herr Alsina gab ihr offenbar ein paar Tipps zum besseren Verständnis der Musik, und ich war neugierig, was dabei herausgekommen war.
    F: Rekonstruieren wir also diesen Dienstagabend. Sie fahren nach der Arbeit in die Gsovskystraße 31, parken Ihren Wagen und gehen durch die Hofeinfahrt auf das Rückgebäude zu. Fiel Ihnen irgendetwas auf, als Sie durch den Hinterhof gingen?
    A: Nein.
    F: Sie sind mit den Örtlichkeiten bestens vertraut?
    A: Ja, das ist richtig. Ich habe das Studio vor einem Jahr gekauft.
    F: Ihre Tochter trainiert dort?
    A: Nein. Sie wohnt sozusagen dort.
    F: Gemeldet ist sie aber bei Ihnen in Zehlendorf.
    A: In den letzten beiden Schuljahren war sie dermaßen eingespannt, dass
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