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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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war sein Ein und Alles. Aber er hatte sich unter Kontrolle. Solange diese Burschen sie nur nicht von ihrer Karriere ablenkten. Dieser Damián hatte etwas in den Augen gehabt, das ihm nicht gefiel, überhaupt nicht gefiel. Aber er hatte es fertig gebracht, Giuliettas angeknackstes Selbstbewusstsein wieder aufzubauen. Dass ein dahergelaufener Tango-Tänzer dieses Kunststück zu Stande gebracht hatte, war nun einmal nicht zu ändern. Er war davon ausgegangen, dass die Sache ein Strohfeuer war. Er kannte seine Tochter. Sie hatte einen unbeugsamen Willen. Klassischer Tanz war ihr Leben. Sie würde nicht von heute auf morgen zehn Jahre Ballett-Training an den Nagel hängen und wegen irgendeiner Liebelei ihre Karriere aufs Spiel setzen oder sich womöglich einem läppischen Paartanz widmen. Das Ganze war eine Phase, und dieser Damián war nichts weiter als eine kurze Etappe darin, eine Krücke, ein kurzes Atemholen. Der Argentinier hatte etwas Verschlagenes gehabt. Anita fand ihn charmant. Aber Anitas Menschenkenntnis war nicht besonders gut entwickelt. Dass an diesem Damián etwas faul war, hatte er gleich gespürt. Sonst säße er jetzt auch nicht hier in dieser tristen Amtsstube, um zu erklären, warum dieses hinterhältige Aas offenbar nicht ganz richtig tickte.
     
    A: Unbestimmt. Er wirkte schüchtern, irgendwie unsicher. Aber das lag sicher daran, dass er uns nicht kannte und offenbar bemüht war, einen guten Eindruck zu machen.
     
    Das klang hohl, befand er richtig. Aber so stand es nun mal da. Hier zu streichen, hätte seltsam gewirkt. Schließlich verlangte man von ihm keine Charakterstudie. Er paraphierte die Seite und blätterte um.
     
    F: Woraus schließen Sie das?
    A: Haben Sie Kinder?
    F: Nein. Warum?
    A: Man sieht das sofort bei jungen Menschen. Er war befangen. Überaus nett zu meiner Frau und etwas reserviert mir gegenüber. Typisch für junge Männer, welche die Eltern ihrer Freundin kennen lernen. Das kann Ihnen jeder Vater bestätigen.
     
    Rückfragen stellen. Unwissen aufdecken. Die beste Möglichkeit, vom Thema wegzukommen.
     
    F: Und das Abendessen verlief völlig normal?
    A: Ja. Allerdings ging Herr Alsina recht früh, da er noch zu einer Probe musste.
    F: Zu einer Probe. So spät am Abend?
    A: Es war nicht spät, als er fortging. Halb zehn vielleicht. Das Theater, wo zwei Tage später die Aufführung stattfand, war wegen einer anderen Veranstaltung bis zweiundzwanzig Uhr belegt. Die Hauptproben mussten daher am Morgen und spätabends stattfinden.
    F: Und Ihre Tochter blieb bei Ihnen zu Hause?
    A: Ja. Wir saßen noch eine Weile zusammen. Aber sie holte ihn später von der Probe ab und blieb dann in der Stadt.
    F: Also, dieses Abendessen fand am Mittwochabend statt, am 17. November genau gesagt. Am Freitag, Samstag und Sonntag wurde das Stück aufgeführt. Am darauf folgenden Dienstag fuhr Ihre Tochter nach Braunschweig, und am selben Abend erhielten Sie diesen Anruf von Herrn Alsina?
    A: Ja.
    F: Sie haben sich das Stück nicht angesehen?
    A: Nein.
    F: Und Ihre Frau?
    A: Auch nicht. Warum? Ist das von Belang?
    F: Nein, nicht unbedingt. Und Sie sagten ja bereits, dass Sie Herrn Alsina bis zu jenem Dienstag nicht mehr getroffen haben. Kommen wir also auf den Tag der Tat zu sprechen. Sie wussten nicht, dass Ihre Tochter nach Braunschweig gefahren war?
    A: Nein.
    F: Und Herr Alsina wusste, dass Sie das nicht wussten.
    A: Das vermute ich.
    F: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Giulietta ohne Ihr Wissen nach Braunschweig fuhr?
    A: Meine Tochter ist erwachsen. Jedenfalls behandeln wir sie so.
    F: Wusste Ihre Frau davon? Von dieser Fahrt nach Braunschweig, meine ich.
    A: Nein. Warum fragen Sie das?
    F: Nun, ich versetze mich in die Situation von Herrn Alsina. Er hat Ihnen eine Falle gestellt. Das konnte er nur, da er davon ausgehen konnte, dass weder Sie noch Ihre Frau wussten, dass Giulietta nicht in Berlin war. Doch warum sollte Giulietta Ihnen diese Fahrt nach Braunschweig verschwiegen haben?
     
    An dieser Stelle hatte er verstanden, worauf der Beamte hinauswollte. Giulietta war heimlich nach Braunschweig gefahren. Damián wusste das. Und warum war sie heimlich gefahren? Weil sie ihren Eltern gegenüber nicht immer ehrlich war. Warum war sie nicht immer ehrlich? Er hatte es hinter der Stirn des Beamten buchstäblich ticken sehen.
     
    A: Vielleicht weil sie uns nicht beunruhigen wollte.
    F: Beunruhigen? Ihre Tochter ist neunzehn Jahre alt, fast zwanzig. Was ist schon dabei, von Berlin nach
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