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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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hatte drei Wochen lang mehr als sonst zu tun gehabt, und dabei war sie ihm entglitten. Er erschrak selbst über die Formulierung. Nein, sie hatte endlich diese Enttäuschung vom Sommer überwunden und sich verliebt. Und sie hatte ihm noch nichts davon erzählt, weil er fast nie zu Hause war, ihre Wege sich kaum gekreuzt hatten. Es fiel ihm schwer, die Nachricht zu schlucken.
    Aber wie hing dies alles mit dem Stapel Papier vor ihm zusammen? Er käme hier erst heraus, wenn alles unterschrieben war. Er paraphierte rasch die ersten vier Seiten. Dann kehrte er zum ersten Blatt zurück und überflog den Passus mit den personenbezogenen Daten. Markus Battin, geboren am 12. Februar 1947 in Rostock. Es folgten die unterschiedlichen Stationen seines Lebens in der DDR bis zur Übersiedlung nach West-Berlin im Jahre 1976. Glücklicherweise hatte der Beamte wenigstens dieses Thema nur gestreift. Das hätte ihm jetzt noch gefehlt, über die finsteren DDR -Zeiten reden zu müssen. Seine Namensänderung war offenbar nicht aktenkundig. Jedenfalls hatte der Polizist nicht danach gefragt, und er hatte keinen Anlass gesehen, den Vorgang zu erwähnen. Markus Loess war im Winter des Jahres 1975 im Alter von neunundzwanzig Jahren gestorben. Er hieß jetzt Markus Battin. Und das war gut so.
    Er blätterte um und begann an der Stelle zu lesen, wo er den Tathergang geschildert hatte.
     
    FRAGE : Am Abend des 23. November 1999 erhielten Sie also einen Telefonanruf von Herrn Alsina.
    ANTWORT : Ja.
    F: Erinnern Sie sich an die genaue Uhrzeit?
    A: Es war zwischen fünf und sechs Uhr abends. Halb sechs wohl.
    F: Was war der Inhalt dieses Gesprächs?
    A: Damián … also Herr Alsina rief aus dem Studio meiner Tochter an. Er bat mich, vorbeizukommen, da sie mir etwas zeigen wollten.
    F: Warum rief
er
Sie an und nicht Ihre Tochter?
    A: Das habe ich ihn auch gefragt. Er sagte, sie sei noch nicht da. Es sollte eine Überraschung sein.
    F: Hat Herr Alsina Sie schon einmal angerufen?
    A: Nein.
    F: Woher hatte er dann Ihre Telefonnummer?
    A: Ich denke, er wusste, für welche Firma ich arbeite. Die Nummer der Zentrale steht im Telefonbuch. Außerdem hatte er Giuliettas Mobiltelefon, darauf ist meine Nummer gespeichert.
    F: Wieso hatte er das Telefon Ihrer Tochter?
    A: Das weiß ich nicht genau. Vermutlich hat er es sich einfach genommen. Giulietta hatte es in ihrer Wohnung vergessen.
    F: Vergessen?
     
    Menschen vergessen Dinge. Seine Tochter hatte das Telefon zu Hause vergessen. Ein einfacher Vorgang. Oder hatte sie es absichtlich zurückgelassen, damit man sie nicht erreichen konnte? Aber das war unerheblich für die Polizei.
     
    A: Ja. Als sie nach Braunschweig fuhr.
    F: Wann war das?
    A: Am gleichen Tag. Dienstagmorgen.
    F: Und wann haben Sie davor das letzte Mal mit ihr gesprochen?
    A: Am Montag. Am Dienstag habe ich zweimal versucht, sie zu erreichen, aber ihr Telefon war nicht empfangsbereit.
    F: Herr Alsina wusste also, dass Giulietta nicht in der Stadt war und erst am nächsten Abend zurückkommen würde?
    A: Ja.
    F: Was tat sie in Braunschweig?
    A: Sie half einer Freundin beim Umzug. Sie war nicht allein. Sie fuhr mit ein paar Freundinnen hin.
    F: Und Herr Alsina nutzte die Abwesenheit Ihrer Tochter, um sich mit Ihnen zu treffen.
    A: Ja. So sieht es aus.
    F: Wie oft waren Sie ihm zuvor begegnet?
     
    Hier hatte er innerlich gestockt, sich dann jedoch für die Wahrheit entschieden. Er hatte diesen Menschen bis vor einer Woche noch nie im Leben gesehen. Das war eine unumstößliche Tatsache. Er musste ihn mit jemandem verwechselt haben. Das würde jedem einleuchten. Seit dem Fall der Mauer geschahen die absonderlichsten Dinge in Berlin. Er hätte selber genügend Leute nennen können, mit denen er noch eine offene Rechnung hatte. Einige Gesichter aus dem Arbeiter- und Bauernstaat waren ihm nur zu gut in Erinnerung. Eine Verwechslung also. Daher war seine Antwort in Ordnung.
     
    A: Einmal.
    F: Wann und wo?
    A: Bei uns zu Hause.
    F: Sie hatten ihn eingeladen?
    A: Ja. Giulietta kannte ihn bereits seit geraumer Zeit, und wir waren neugierig auf ihn.
    F: Es war also ein Abendessen im Familienkreis?
    A: So kann man es nennen.
    F: Wie war Ihr erster Eindruck von Herrn Alsina?
     
    Sollte er ehrlich sein? Er hatte ihn von Anfang an nicht gemocht. Nicht, weil er Ausländer war. Ein Schwabe hätte ihm genauso missfallen. Er war auf alle Männer eifersüchtig, die hinter seiner Tochter her waren. Das wusste er. Er konnte nichts dagegen tun. Giulietta
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