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Dracula, my love

Dracula, my love

Titel: Dracula, my love
Autoren: Syrie James
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aufgestiegen war.
    Mein Gott! Mein Gott! Was hatte ich nur getan? Er lag im Sterben, und ich hatte ihn umgebracht! Reue überkam mich, und Tränen schossen mir in die Augen. Dann fiel mein Blick auf Jonathan, der bewusstlos, vielleicht tot, im Flur lag, das Opfer dieses Mannes. Ich dachte an das unschuldige Kind, das in mir heranwuchs und das eine Lebenschance verdiente.
    Und ich wusste, dass ich richtig gehandelt hatte. Doch die Tat war noch nicht vollendet. Eine letzte, grausige Aufgabe hatte ich noch zu erledigen.
    Das Gurkha-Messer lag in der offenen Tür. Blind vor Tränen, packte ich es und kniete mich damit über Draculas liegenden Körper, setzte die furchterregende Klinge an seine Kehle. Er starrte zu mir auf, war unfähig, sich zu bewegen, ein uralter, runzeliger Mann, von dem mir nur seine durchdringenden blauen Augen vertraut waren. Als meine Augen die seinen trafen, erblickte ich plötzliche Reue und Angst darin, als sei endlich seine Menschlichkeit wieder an die Oberfläche gedrungen.
    „Verzeih mir, Mina“, flüsterte er unter großen Mühen. „Ich habe dich zu sehr geliebt.“
    Ich zögerte. Nun war er wieder er selbst. Die Wut hatte ihn zu dem Ungeheuer gemacht, das ihn geschaffen hatte. Und doch war so viel Gutes in ihm. Ich hatte ihn geliebt. Ich liebte ihn immer noch. Wie konnte ich den Mann töten, den ich liebte?
    Ich schluchzte und ließ das Messer sinken. Mir brach das Herz. „Ich kann nicht.“
    „Tu es!“, flüsterte Dracula. „Ich gehöre nicht in diese Welt. Du gehörst hierher. Bereue nichts. Lebe das Leben, das mir nie vergönnt war. Lebe es für uns beide!“
    Nun rannen mir die Tränen über die Wangen, und ich schüttelte den Kopf. „Nein. Nein.“
    Mit scheinbar übermenschlicher Anstrengung hob er eine Hand und legte sie fest über meine, sodass wir das Messer gemeinsam umklammerten. „›Das Fest ist jetzt zu Ende‹“, zitierte er leise und mit stockender Stimme und schaute mir in die Augen. „›Unsre Spieler ... waren Geister, und sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft ... Und wie dies leere Schaugepräng' erblasst ... spurlos verschwinden.‹“*
    *)William Shakespeare, Der Sturm, IV. Akt, I. Szene, Sämtliche Werke, Hrsg. Anselm Schlösser, Aufbau Verlag Berlin und Weimar 1994, Bd. 2, S. 683.
    Mit plötzlicher Kraft zog er rasch das große Messer über seine Kehle. Die Klinge durchschnitt sein Fleisch. Ein Schwall purpurroten Blutes spritzte im hohen Bogen in die Luft. Und im Bruchteil eines Wimpernschlages war er völlig zu Staub zerfallen und meinem Blick entzogen.
    Schwindel erfasste mich, und ich sackte auf den Boden, starrte benommen und ungläubig auf die blutbesudelte leere Stelle vor mir.
    Dracula war tot.
    Ich weinte, aber es war keine Zeit für Trauer. Ich zwang mich aufzustehen und eilte an Jonathans Seite, wo ich mich hinkniete und ihn ängstlich in die Arme schloss. Zu meiner großen Erleichterung konnte ich feststellen, dass er atmete. Ich küsste ihn wieder und wieder und rief seinen Namen, während ich ihm sanft über das Antlitz streichelte. Wenig später schlug er die Augen auf. Benommene Verwirrung wich schon bald dem Ausdruck von Angst und Sorge. Er wollte sich auf die Füße kämpfen.
    „Wo ist er?“, schrie er.
    „Er ist fort“, antwortete ich und hielt Jonathan fest in den Armen geborgen, während meine Wangen noch nass von Tränen waren. „Ich habe ihn getötet.“
    „Du hast ihn getötet?“ Er war erstaunt und erleichtert.
    „Ja.“ Ich erzählte ihm alles, was ich getan hatte, ließ nur eine Einzelheit aus, nämlich Draculas letzten, leidenschaftlichen Ausbruch. „Ohne dich hätte ich es niemals tun können. Wie bist du hierher gekommen?“
    „Ich war den ganzen Abend lang unruhig. Du warst irgendwie anders, Mina. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich glauben sollte, dass der Graf tot war. Und wenn das nicht stimmte, könnte er dich noch in seiner Gewalt haben. Als ich aufwachte, stellte ich fest, dass du verschwunden warst, und fürchtete, er hätte dich entführt. Ich ritt unverzüglich zur Burg. Die Tür stand offen, aber alles schien verlassen. Ich schaute überall nach. Ich eilte die Treppe hinauf, und dann hörte ich seine Stimme. Er drohte, dich zu töten. Ich stürzte mich mit meinem Messer auf ihn, aber ...“ Jonathan errötete zutiefst. „Das ist das Letzte, woran ich mich erinnern kann.“ Rasch fügte er hinzu: „Ich habe ihn nicht erkannt. Bist du sicher, dass er es war? Er sah so jung aus.“
    Ich wählte
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