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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman
Autoren: Blessing <Deutschland>
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Außerdem hätte er das vorausgesagt.«
    Â»Was?«
    Â»Wenn mir oder dem Kind etwas passiert.«
    Â»Sag nicht so etwas«, bat Paul.
    Â»Vertraust du noch immer nicht auf den Einfluss der Sterne?«, fragte sie. »Der Mensch braucht doch etwas, woran er glauben kann, oder nicht?«
    Â»Ich, ich weiß es nicht«, antwortete er unsicher. »Ich kann nicht sagen, dass ich daran glaube. Aber ich kann auch nicht sagen, dass ich nicht daran glaube.«
    Sie lächelte noch einmal. »Du bist noch viel chinesischer, als ich dachte.«
    Er sah in ihrem Gesicht die nächste Wehe kommen. Jetzt erst fiel ihm das seltsame Geräusch auf, das den ganzen Raum ausfüllte. Wie konnte er es überhört haben? Ein geheimnisvolles Pochen. Ein ganz und gar einmaliger Klang, der ihn
an das Galoppieren eines Pferdes erinnerte. Schnell und nimmermüde. Einen langen Moment wusste er nicht, was es war. Es war der Herzschlag seines Kindes. Er konnte das Herz seines ungeborenen Sohnes hören.
    Paul lauschte. Was für eine magische Kraft von diesem Geräusch ausging.
    Welcher Mensch mochte sich hinter diesem Herzschlag verbergen? Ein ängstlicher oder ein mutiger? Ein zärtlicher oder ein grober? Mit welchen Geheimnissen mochte er auf die Welt kommen? Jedes Leben ein Versprechen. Jedes Leben ein Geschenk.
    Paul verharrte schweigend neben Christine. Er streichelte ihr das Gesicht und den Bauch, sie stöhnte leise. Irgendwann kamen zwei Hebammen und der Anästhesist und bereiteten sie für die Operation vor. Richteten sie auf, setzten sie auf die Bettkante, und der Arzt stach mit einer langen, sehr dünnen Nadel in das Nervenwasser der Wirbelsäule, um sie örtlich zu betäuben. Paul wandte den Blick ab. Ein falscher Stich, zu weit links, zu weit rechts, zu tief, und Christine könnte im Rollstuhl enden. Extrem unwahrscheinlich, gewiss. Statistisch gesehen.
    Er begleitete sie über den Flur, in den Fahrstuhl, über den nächsten Flur bis zum Operationssaal, Christines Hand fest in seiner.
    Bei der Schleuse zum OP-Bereich musste er loslassen. Der Gynäkologe fragte, ob er bei dem kleinen Eingriff dabei sein wolle. Von ihm aus kein Problem, er müsse nur die nasse Kleidung wechseln, was ja ohnehin keine schlechte Idee wäre, und Kopfhaube, Mundschutz und einen Kittel überziehen. Paul folgte ihm in einen Raum, zog sich aus und streifte die Sachen über. Dann verließ ihn der Mut. Die Angst, während der Operation in Panik zu geraten, war übermächtig.

    Sie werden Leben verlieren.
    Welches Leben sollte er verlieren? Christines? Das Risiko einer gesunden Mutter, in Hongkong bei der Entbindung zu sterben, war nahezu null. Das seines Sohnes? Ein Kaiserschnitt war für das Kind die sicherste Methode, auch da konnte statistisch eigentlich nicht viel passieren. Aber was hieß das schon? Welchen Aussagewert hatten Zahlenkurven und Diagramme, wenn es um ein Leben ging? Keinen.
    Am schlimmsten war die Ohnmacht, das Gefühl, tatenlos zusehen zu müssen, wie über sein Schicksal entschieden wurde. Wie oft hatte er in den Monaten vor Justins Tod Zwiesprache mit sich selbst gehalten, hatte gebettelt, jemand möge sein Kind retten, eine außerirdische Macht möge die Dinge zum Guten wenden. Er hatte versucht zu beten. Er hatte geschworen, Opfer zu bringen, wenn sein Sohn geheilt würde. Seine Wohnung verkaufen. Einen Tempel bauen. Ein Waisenhaus auf den Philippinen finanzieren. Er hätte alles getan, aber in sich keinen Gott gefunden, an den er sich wenden konnte.
    Paul ließ sich auf eine Bank fallen und wartete; durch die angelehnte Tür hörte er die Stimmen der Ärzte und Krankenschwestern. Zu seinem Erstaunen empfand er, dass er zum ersten Mal in dieser Nacht etwas ruhiger wurde. Er hatte den Herzton seines Kindes im Ohr.
    Achtzehn Minuten später kam sein Sohn zur Welt.
    Paul verfolgte die aufgeregten Stimmen im Operationssaal, schnappte jedoch nur Bruchstücke auf. Blutverlust. Ein Rätsel. Wie hatte man das übersehen können. Ein zweiter Arzt eilte an ihm vorbei zu seinem Kollegen. Weshalb verlor Christine Blut? Was hatten sie übersehen?
    Paul folgte ihm. »Was ist mit meiner Frau?«, rief er laut. »Was ist mit meiner Frau?«

    Â»Es geht ihr gut, gehen Sie ruhig zu ihr«, antwortete einer der Ärzte.
    Christine lag von einem grünen Paravent verdeckt auf dem OP-Tisch, nur ihre weißen Beine lugten hervor.
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