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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman
Autoren: Blessing <Deutschland>
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liebeshungrig.«
    Christine sah sein Lächeln. »Sind wir das nicht alle?«
    Â»Manche mehr, manche weniger.«
    Â»Und ich?«
    Â»Die Hungrigste von allen.«
    Sie hätte wieder auflegen können. Mehr hatte sie nicht gebraucht. »Paul, ich liebe dich. Über alles. Verlass mich nie.«
    Â»Niemals. Du klingst so traurig.«
    Â»Bin ich auch.«
    Â»Wieso?«
    Â»Das Abendessen.«
    Â»War es nicht schön?«
    Â»Nein. Sehr schwierig.«
    Â»Warum?«
    Christine zögerte. Sie wollte jetzt weder über den Verrat ihres Bruders reden noch über die Frage, warum Paul ihr nichts davon erzählt hatte. »Du hast meine Mutter ja erlebt. Sie kann sehr eigen sein. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie
sich für ihre Enkelin sonderlich interessiert. Es kam überhaupt kein Gespräch zustande.«
    Â»Und Yin-Yin?«
    Â»Sie hat sich bemüht.«
    Â»Es tut mir leid, ich weiß, wie wichtig es dir war.«
    Â»Es ist meine Familie«, sagte sie und hoffte, er würde verstehen, was sie meinte.
    Â»Ich weiß. Aber die ist ja im Wachsen begriffen, und die neuen Mitglieder werden gesprächiger sein, versprochen.«
    Â»Ich ahne es«, erwiderte sie und hätte am liebsten die nächste Fähre nach Lamma genommen.

XXII
    Er hatte gerade das Licht gelöscht, als sein Handy klingelte. »Christine« leuchtete auf dem winzigen Bildschirm auf. Weshalb rief sie so spät noch an? Sie hatten am frühen Abend telefoniert, Christine wollte sich hinlegen, weil ihr übel war und ihr die Glieder wehtaten; sie hatte versprochen, sich am Morgen wieder zu melden. Sein Angebot zu kommen hatte sie abgelehnt: So schlimm sei es nicht.
    Am Apparat war eine fremde Stimme. Paul wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Tita Ness. Wer bitte? Es dauerte Sekunden, bis er begriff. Das philippinische Hausmädchen. Sie sprach aufgeregt, er hatte Mühe, ihr zu folgen. Frau Wu. Nicht gut. Auf dem Weg ins Krankenhaus. Blutungen. Ganz plötzlich. Kwun Tong Hospital. Paul schaute auf die Uhr: 11.17.
    Die letzte Fähre von Yung Shue Wan nach Central ging in dreizehn Minuten. So gut wie keine Chance, schoss es ihm noch durch den Kopf, dann begann er zu funktionieren, ohne nachzudenken. Streifte eine Unterhose über, riss Hemd und Hose aus dem Schrank, lief los. Es hatte geregnet, die Fliesen auf der Terrasse waren glatt, er rutschte aus, fiel hin, sprang auf, rannte weiter. Er wählte die Abkürzung über die Treppen, nahm in großen Sprüngen vier, fünf Stufen auf einmal, verlor auf einem Absatz das Gleichgewicht, prallte rückwärts gegen eine Tonne, die mit lautem Scheppern umstürzte. Er hetzte weiter den Weg ins Dorf hinunter, hörte das Klingeln der sich schließenden Tore, rannte wie besinnungslos, an der Green Cottage vorbei, an der Island Bar, brüllte, man solle auf ihn warten. Warten. Warten. Beim Postamt vernahm er das grollende Rumpeln eines Schiffsmotors im Rückwärtsgang. Als er auf dem Pier zum Stehen kam, hatte die Fähre beigedreht und war auf dem Weg nach Hongkong.

    Jetzt erst bemerkte Paul, dass er keine Schuhe trug, nur mit einer Unterhose bekleidet war, dass sein linkes Knie blutete, die Lunge schmerzte und er kaum Luft bekam. Mit der einen Hand umklammerte er Hose und Hemd, in der anderen hielt er sein Schlüsselbund, Mobiltelefon und Brieftasche. Er streifte Hemd und Hose über und versuchte, der in ihm aufsteigenden Panik Herr zu werden. Die nächste Fähre ging um 6.20 Uhr. Das Schiff war, von medizinischen Notfällen abgesehen, in denen Schwerkranke oder Verletzte mit einem Hubschrauber evakuiert wurden, der einzige Weg, die Insel zu verlassen. Er war gefangen. Paul überlegte, ob es eine Chance gab, nach Hongkong zu schwimmen? Bei Pak Kok war der East Lamma Channel nicht mehr als zwei Kilometer breit, aber die Strömung war stark, der Schiffsverkehr auch in der Nacht rege, das Wetter schlecht. Den ganzen Tag über hatte es heftig geweht und am Abend noch aufgefrischt. Er schaute aufs Wasser und sah im Licht des Fähranlegers weiße Schaumkronen auf den Wellen. Dagegen konnte er nicht anschwimmen. Seine einzige Möglichkeit bestand darin, ein privates Boot zu finden, das ihn hinüberbringen würde.
    Paul versuchte, Christine zu erreichen, doch weder sie noch Tita Ness meldeten sich. Er lief zur Island Bar, in der noch einige Engländer und Australier saßen, die schon lange
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