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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman
Autoren: Blessing <Deutschland>
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grauen Haare hingen ihr in Strähnen vor den Augen.
    Â»Mama, das ist Yin-Yin.« Christine war so nervös, dass sie Mühe hatte, Luft zu holen.
    Wu Jie strich sich die Haare aus dem Gesicht, musterte ihre Enkelin lange, als suche sie nach Ähnlichkeiten mit ihrem Sohn. Sie stand auf, stützte sich kurz auf eine Stuhllehne, begrüßte Yin-Yin mit ein paar einfachen Worten, setzte sich wieder. Yin-Yin antwortete höflich und überreichte ihrer Großmutter das Geschenk. Die betrachtete das Fotobuch kurz und legte es zur Seite. »Danke.«
    Sie nahmen Platz, gleich mehrere Kellnerinnen umringten sie, falteten die Servietten auf, schenkten Tee ein, stellten Erdnüsse und Eier mit Ingwer und Senf auf den Tisch. Als sie das Zimmer verlassen hatten, breitete sich ein bedrückendes Schweigen aus.
    Christine kamen Zweifel an ihrer Wahl, der Raum war zwar schön, jedoch viel zu groß. Sie saßen zu dritt an einem Tisch, der mindestens zwölf Personen Platz bot, und für den Geschmack ihrer Mutter waren vermutlich sowohl Tischdecken als auch der Fußboden zu sauber, die Kleider des Personals nicht bekleckert genug.

    Yin-Yin sagte etwas, ihre Großmutter antwortete kurz. Yin-Yin lächelte verlegen, fragte wieder etwas, auf das sie eine knappe Erwiderung erhielt.
    Der Ton verhieß nichts Gutes, auch wenn Christine nicht verstand, was ihre Mutter sagte. Sie kannte diese Art, die barschen Laute, mürrische Antworten, reduziert auf das Nötigste. Sie hatte sich über die Jahre daran gewöhnt, es war nicht so unfreundlich gemeint, wie es nach außen wirkte, doch für Yin-Yin musste es fast feindselig erscheinen.
    Â»Yin-Yin ist Musikerin«, mischte sich Christine ein.
    Â»In unserer Familie ist niemand musikalisch«, behauptete Wu Jie entschieden - als bestünde noch ein Rest an Zweifeln, dass es sich bei dem Besuch um eine Verwandte handelte.
    Â»Ihre Mutter war Musiklehrerin und hat gesungen«, erklärte Christine schnell und gab die Bemerkung gar nicht erst an Yin-Yin weiter.
    Â»So, so. Verdient man als Musikerin Geld?«, wollte ihre Mutter wissen und blickte die Enkelin skeptisch an. Christine übersetzte.
    Â»Reich wird man nicht davon, aber es genügt zum Leben.«
    Wu Jie nickte abwesend.
    Yin-Yin versuchte, ein Gespräch zu beginnen, stellte Fragen, ihre Großmutter antwortete, ohne aufzublicken, bis die Enkelin verstummte.
    Â»Was hast du gesagt?«, erkundigte sich Christine.
    Â»Ich habe gefragt, wie es ihr gesundheitlich geht.«
    Â»Und?«
    Â»Schlecht, hat sie gesagt.«
    Â»Und was noch?«
    Â»Ob sie sich in Hongkong wohl fühle. Sie meinte, es wäre ja wohl schrecklich, wenn nicht. Nach vierzig Jahren!«

    Christine ging ein altes chinesisches Sprichwort durch den Kopf, das ein Lehrer früher manchmal zitiert hatte: Leicht sind Berge und Flüsse zu verlegen, die Natur eines Menschen jedoch ist schwer zu ändern.
    Gar nicht, dachte sie jetzt, gar nicht. Zumindest nicht im Fall ihrer Mutter.
    Vier junge Serviererinnen brachten Reis, Tofu, Gemüse, ein Kellner stellte die Ente auf den Tisch, öffnete sie feierlich und zeigte den Frauen die acht im Inneren verborgenen Kostbarkeiten: Lotussamen, Kastanien, zwei Sorten Pilze, Schinken, Datteln, Gingko und sonnengetrocknete Jakobsmuscheln. Christine hatte, wie immer, viel zu viel bestellt, aber es roch köstlich, und ihre Mutter strahlte für einen Moment. Der Kellner legte ihnen auf, und sie begannen stumm zu essen.
    Christine versuchte den Redefluss noch einmal zu beleben, erkundigte sich bei ihrer Nichte nach Xiao Hu, nach Yin-Yins Plänen in New York, der Aufnahmeprüfung bei den Symphonikern. Übersetzte die Antworten ins Kantonesische.
    Ihre Mutter nagte an einem Entenknochen, nahm sich vom gedünsteten Tofu, spuckte Knorpel auf die Tischdecke und erweckte nicht den Anschein, als ob Yin-Yins Erwiderungen sie interessierten. Sie war kein mitteilsamer Mensch. Nie gewesen. Zumindest nicht mit Worten. Doch ihr Schweigen in dieser Situation wurde Christine von Minute zu Minute unheimlicher. Warum wollte sie von ihrer Enkelin nichts wissen? Hatten sie sich nichts zu sagen? Worüber schwiegen sie?
    Ã„hnlich seltsam hatte ihre Mutter vor zwei Monaten reagiert, als Christine ihr endlich von Da Longs Schicksal berichtete. Mehr als zwei Wochen hatte sie es, aus Gründen, die sie selbst nicht genau verstand, hinausgezögert, ihr zu sagen,
dass sie
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