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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman
Autoren: Blessing <Deutschland>
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auf der Insel lebten und ihn vom Sehen kannten. Als Paul erklärte, warum er jetzt und auf der Stelle und so schnell wie möglich nach Hongkong musste, wurde es still in der Kneipe. Nein, ein Boot besaß keiner von ihnen. Aber der Wirt wusste von einem Fischer, dem eines der kleinen Motorboote gehörte, die im Hafen dümpelten. Er wohne gleich um die Ecke, nur die Treppe hinauf in den oberen Teil des Dorfes.
    Der Mann hatte schon geschlafen. Mürrisch öffnete er die
Tür. Er war einen Kopf kleiner und ein paar Jahre älter als Paul und schaute den barfüßigen, völlig verschwitzten Fremden, dem die grauen Haare das Gesicht verklebten, missmutig an. Um diese Uhrzeit? Er schüttelte den Kopf.
    Paul bot ihm tausend Hongkong Dollar.
    Nein.
    Zweitausend.
    Der alte Fischer musterte ihn jetzt gründlicher und schüttelte wieder den Kopf.
    Dreitausend.
    Zumindest war er wach geworden. Er trat vor die Tür, betrachtete den dunklen Himmel, die Palmenblätter, die sich im Wind bogen, das aufgewühlte Meer. Bei dem Wetter? Nein.
    Fünftausend.
    Nein.
    Zehn.
    Können Sie schwimmen?
    Paul nickte.
    Hatte er das Geld dabei?
    Paul verneinte. Erklärte, gelobte, zeigte seine Hongkong ID Card. Versprach. Zehntausend. In bar. Morgen Abend, spätestens.
    Der Mann stieß einen langen Seufzer aus. Einverstanden. In zehn Minuten am Pier.
    Paul lief zurück und merkte erst jetzt, wie kühl es war. Seine nackten Füße waren kalt, er spürte sie kaum noch. In der Bar fragte er, ob ihm jemand etwas zum Anziehen leihen könnte, und bekam eine Windjacke und Schuhe, in denen ihm die Zehen wehtaten.
    Der Fischer brachte eine ausgewaschene gelbe Schwimmweste mit und warf sie Paul zu. Dann kletterte er auf ein winziges, rechteckiges Floß und paddelte zu seinem Schiff, das,
an einer Boje befestigt, zwanzig Meter vom Ufer entfernt lag. Er machte die Leinen los, hantierte am Motor herum, zog mehrmals an einer Strippe, bis die Maschine mit einem holprigen Gurgeln ansprang, und holte Paul von der Mole ab.
    Es war ein altes Boot aus Holz, knapp fünf Meter lang, keine zwei breit; auf dem Boden lagen zwei Paddel für den Notfall, eine Reuse, ein Netz, Bambusstangen, Styropormarkierungen und ein Plastikeimer.
    Um das Gewicht besser auszubalancieren, setzte sich Paul an den Bug. Der Fischer gab ihm eine starke Taschenlampe, mit der er das schwarze Wasser nach schwerem Treibholz absuchen sollte. Sie zogen die Köpfe ein, fuhren unter dem Pier durch und hielten sich so dicht unter Land wie möglich. Trotzdem begann es zu schaukeln. Paul wusste, dass das nur der Anfang war, ernst würde es erst, wenn sie die Inselspitze bei Shek Kok Tsui umrunden und Kurs auf den offenen Kanal zwischen Lamma und Hongkong nehmen würden.
    Er dachte an Christine und versuchte sich zu beruhigen. Was sollte passiert sein? Es waren nur noch zwei Wochen bis zum errechneten Termin, von einer Frühgeburt mit all ihren Komplikationen und Gefahren konnte also keine Rede sein. Die Schwangerschaft war bisher ohne besondere Probleme verlaufen, abgesehen von häufiger Übelkeit und dem Wasser, das sich in Christines Armen und Beinen gesammelt hatte. Sie war bis gestern in der Lage gewesen zu arbeiten, sie hatten den Sommer und Herbst genutzt, um ihr neues Leben vorzubereiten: Pauls Haus umgeräumt, das kleine Appartement seiner zukünftigen Schwiegermutter in Hang Hau gekündigt, ein neues in Yung Shue Wan gesucht. Sobald Christine Mieter für ihre Wohnung gefunden hatte, würde sie mit Josh, ihrer Mutter und dem Baby nach Lamma ziehen.
    Bei den regelmäßigen Untersuchungen hatte es keine Auffälligkeiten
gegeben, nach allen Ergebnissen der Frühdiagnostik war ihr Kind gesund. Trotzdem hatten ihn die Worte des Astrologen nicht losgelassen.
    Sie werden Leben geben. Sie werden Leben nehmen. Die ersten beiden Voraussagen hatten sich erfüllt. Es verging kein Tag, an dem er nicht an die dritte dachte, wenn er auch in den vergangenen Wochen, nachdem die Ärzte ihm versichert hatten, dass das Kind von nun an als Frühchen überleben konnte, ruhiger geworden war.
    Sie werden Leben verlieren. Hätte er diesen Satz bloß nie gehört.
    Paul sah das Leuchtfeuer blinken, das die Inselspitze markierte, gut hundert Meter würden sie noch unter Land fahren. Noch fünfzig, dreißig … Paul drehte sich um und suchte den Blick des Fischers. Der stand aufrecht und breitbeinig am Heck, die
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