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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman
Autoren: Blessing <Deutschland>
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müsste, selbst um diese Uhrzeit, ein Taxi zu finden sein. Die Schuhe waren eng und von Wasser durchtränkt, er zog sie aus und rannte barfuß weiter.
    Der erste Taxifahrer hielt kurz an, sah, in welchem Zustand dieser Fahrgast war, und fuhr weiter. Der zweite auch.
Der dritte wollte wissen, ob Paul ein Schiffbrüchiger sei. So ungefähr, bestätigte er und bat den Mann, ihn auf dem schnellsten Weg nach Kwun Tong ins Krankenhaus zu bringen.
    Paul kauerte sich in den Fond und zitterte am ganzen Leib. Das Zittern wurde nicht weniger, selbst als die Heizung den Wagen dermaßen erwärmte, dass der Fahrer zu schwitzen begann und sein Fenster herunterkurbelte. Paul schlotterte nicht nur vor Kälte. Die Angst war schlimmer. Christine durfte nichts passieren, sie war alles, was ihm geblieben war. Er wollte den Ärzten sagen, dass sie, falls sie sich zwischen dem Leben der Mutter und des Kindes entscheiden müssten, Christine retten sollten.
    Die Uhr zeigte kurz nach zwei, als sie das Krankenhaus erreichten. In der Notaufnahme wussten sie sofort Bescheid. Die Schwangere mit den Blutungen und der geplatzten Fruchtblase. Sie liege im Kreißsaal, dritter Stock. Noch ehe sie ihn etwas fragen konnten, war Paul schon im Treppenhaus verschwunden.
    Auf der Entbindungsstation herrschte trotz der Uhrzeit reger Betrieb, Frauen und Männer in grünen und weißen Kitteln eilten über die Flure, niemand nahm von seiner sonderbaren Erscheinung Notiz: ein großgewachsener Westler, atemlos, weißes Hemd, weiße Hose, so nass, dass ihm die Kleidung am Körper klebte, barfuß, ein Paar tropfende Schuhe in der Hand. Aus einem Raum hörte er ein lautes Stöhnen und die beruhigende Stimme einer Krankenschwester, aus einem anderen drangen die jämmerlichen Schreie eines Neugeborenen.
    Im Zimmer nebenan entdeckte er Christine. Sie lag, nur mit einem weißen Nachthemd bekleidet, ohne Zudecke in einem Bett; neben ihr befand sich ein Tropf, und durch ein Kabel war
sie mit einem Kardiotokografen verbunden, der die Herztöne des Kindes und die Wehen aufzeichnete. Ihr Lächeln, als sie ihn sah. Sie war bleich und schwitzte. Ihre Lippen waren aufgeplatzt. Was war mit ihren Augen? Entweder hatte man ihr Medikamente gegeben, oder die Erschöpfung hatte sich wie ein Schleier über ihren Blick gelegt. Er nahm ihre Hand, küsste sie auf die Stirn, die Augen, den Mund. Mein Liebes. Mein Kleines. Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?
    Eine Krankenschwester kam herein, musterte ihn überrascht und wollte wissen, wer er sei.
    Der Vater, antwortete Paul. Die junge Frau blickte Christine irritiert an, die seine Worte mit einem Nicken bestätigte.
    Ihrer Frau geht es gut, erklärte die Hebamme. Die Herztöne des Kindes seien normal, die Wehen noch schwach. Die Fruchtblase sei geplatzt, aber es gebe keinen Grund zur Sorge. Der Arzt werde es nachher mit einem Kaiserschnitt holen. Er sei aber im Augenblick noch mit einer anderen Geburt beschäftigt.
    Kein Grund zur Sorge. Der falsche Satz.
    Christine ahnte es. Sie drückte seine Hand. Paul zog einen Stuhl ans Bett heran und setzte sich. Er wollte stark für sie sein und merkte nur, wie schwach er war. Er hatte fest geglaubt, dass es nach Justins Tod nichts mehr geben könnte, was er fürchten müsste. Nun wurde er eines Besseren belehrt. Die Angst um einen Menschen, den man liebt. Sie hört nie auf.
    Â»Ruh dich aus«, sagte er mit gedämpfter Stimme.
    Â»Warum bist du so nass?«
    Â»Ich bin geschwommen.«
    Sie lächelte und schloss die Augen. Plötzlich umklammerte sie seine Hand, biss sich auf die Lippen, bäumte sich kurz auf, stöhnte, sank zurück aufs Kissen.

    Â»Kann ich etwas für dich tun?«, fragte er besorgt. Von den diversen Atemtechniken, die sie im Schwangerschaftskurs gelernt hatten, erinnerte er keine mehr.
    Â»Bei mir sein, das reicht schon«, antwortete sie. »Du brauchst keine Angst zu haben.«
    Â»Das sage ich mir seit neun Monaten, ist nicht so einfach.«
    Â»Vertrau auf Meister Wong.«
    Â»Weshalb ausgerechnet auf ihn?« Er hatte gelassen klingen wollen, doch Christine hob den Kopf, erstaunt über seinen ängstlichen Ton.
    Â»Weil alle seine Vorhersagen in Erfüllung gehen.«
    Â»Bitte, bitte nicht.«
    Â»Warum nicht? Er hat dir prophezeit, dass du Leben geben wirst.«
    Â»Richtig. Und?«
    Â»In ein paar Minuten ist es so weit. Was soll noch schief gehen?
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