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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman
Autoren: Blessing <Deutschland>
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eine Hand am Motor, die andere hielt eine erloschene Zigarette. Noch zehn … noch fünf …
    Gleich die erste Breitseite erwischte sie mit voller Kraft und ließ das ganze Boot erzittern. Das Wasser trommelte unaufhörlich mit dumpfen Schlägen gegen die Bordwand. Paul steckte die Taschenlampe weg, umklammerte mit beiden Händen den Bootsrand, um nicht über Bord zu gehen. Auch der Fischer hatte sich gesetzt und hielt sich am Heck fest. Die Gischt hatte die Männer in wenigen Sekunden völlig durchnässt, dicke, salzige Tropfen rannen ihnen über die Gesichter. Der Wind kam aus nordwestlicher Richtung und jagte dunkle Wolken über den von der Stadt erleuchteten Nachthimmel. Paul, der sich immer für seefest gehalten hatte, war speiübel. Fortwährend schlugen Wellen ins Boot, langsam füllte es sich mit Wasser. Der Fischer brüllte ihm etwas zu, was der Krach sogleich verschluckte. Er stieß ein paar kantonesische Flüche aus und deutete auf den Eimer. Paul versuchte, sich mit
einer Hand festzuhalten und mit der anderen Wasser aus dem Schiff zu schaufeln. Plötzlich ging es so steil bergab, dass er nach hinten fiel und mit dem Rücken gegen die Bordwand knallte. Ihr Schiff geriet in bedrohliche Schieflage. Paul hangelte sich auf allen vieren zurück zum Bug, wieder schrie der Fischer etwas, das der Wind in eine andere Richtung trug.
    Von einer Sekunde auf die andere flaute der Sturm ab, das Meer beruhigte sich ein wenig. Sie hatten es in den Schatten eines Containerschiffs geschafft, das vor Lamma auf Reede lag. Ihr Boot steuerte direkt auf die schwarze Bordwand zu, die sich vor ihnen wie ein Seeungeheuer erhob und kein Ende zu nehmen schien; Paul durchzuckte ein Schauer, als er sah, wie klein sie sich gegen das Frachtschiff ausnahmen. Einige wenige Minuten lang fuhren sie durch ruhigeres Gewässer. Paul schippte mit beiden Händen Wasser aus dem Boot, so schnell er nur konnte. Der Fischer drosselte die Geschwindigkeit, als wolle er noch einmal Luft holen, bevor sie zum großen Sprung über den East Lamma Channel ansetzten. Kaum hatten sie den Frachter passiert, fielen sie in ein tiefes Wellental, der Wind kam nun direkt von vorn genau wie die Dünung, die an dieser Stelle größer war, als es von Land den Anschein gehabt hatte. Paul schaute auf die Lichter Hongkongs vor ihnen, die Hochhäuser wirkten so nah und waren gleichzeitig unendlich weit weg. Sollten sie kentern, würden sie die Strecke, bei dem Sturm, nicht schwimmen können, weder nach Hongkong noch zurück nach Lamma. Ihre einzige Chance bestünde darin, von einem anderen Schiff gesehen und aufgefischt zu werden.
    Von Steuerbord und Backbord kamen zwei große Dampfer, deren Fahrrinne sie kreuzen mussten. Für einen Moment zweifelte Paul, ob es gelingen könnte, ob sie nicht lieber umkehren sollten. Noch einmal suchte er Blickkontakt mit dem
Fischer, doch der beachtete ihn nicht; er hatte nur Augen für die beiden Frachter und schien die Route zu kalkulieren, die sie zwischen ihnen hindurchbringen konnte. Sie nahmen Kurs auf das von Backbord kommende Schiff. Paul konnte keine Lücke erkennen, sondern nur Wände aus Stahl, die sich vor ihnen auftürmten. Der Kapitän musste sie für blind oder wahnsinnig halten; dreimal ließ er das Signalhorn durch die Nacht hallen. Bald schon waren sie so nah, dass Paul sogar kleine Rostflecken an der Bordwand ausmachen konnte; sie gerieten in den Strudel am Heck, drehten sich um neunzig Grad, und mit einem waghalsigen Wendemanöver brachte der Fischer sie wieder auf Kurs. Direkt dahinter tauchte der zweite Frachter auf, seine Bugwelle erwischte sie schräg von der Seite, Paul schlug bäuchlings hin und verspürte einen stechenden Schmerz am Kopf.
    Er blieb liegen, hörte den Fischer schreien und rührte sich nicht. Da das Boot sich beängstigend schnell wieder mit Wasser füllte, begann Paul, im Liegen zu schöpfen. Schneller, hörte er den Alten rufen, schneller, schneller. Nach einigen Minuten ließ die Wucht der Wellen nach, Paul hob den Kopf und sah Green Island; die Entfernung schätzte er auf keine zweihundert Meter, sie hatten den Windschatten der Insel erreicht.
    Der Fischer setzte ihn an einem kleinen Anleger unterhalb von Kennedy Town ab, er wollte den Rest der Nacht im Hafen verbringen. Paul gab ihm, wie abgesprochen, zur Sicherheit seinen Ausweis, bedankte sich und sprintete zur Straße. Dort
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