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Drachenkaiser

Drachenkaiser

Titel: Drachenkaiser
Autoren: Markus Heitz
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Lastwagen, Automobile und Kutschen fuhren die Straße entlang. Das bisschen Schnee, das vor zwei Tagen gefallen war, hatte sich in unansehnlichen grauen Matsch verwandelt und wurde vom Nieselregen zersetzt.
    Auld Reekie wird allmählich. Der Spitzname der Stadt, schottisch für die alte Rauchige, rührte ursprünglich von den vielen Kaminen und den Kohle- und Torffeuern her. Jetzt bekam er eine neue Bedeutung: Nach dem verheerenden Feuer, das von einem Drachen ausgelöst worden war, gaben sich die Schotten Mühe, ihrem Wahrzeichen den alten Glanz zurückzugeben. Doch viele Mauern dünsteten noch immer Rauch und damit eine Erinnerung an die Tragödie aus. Sie mahnten, nicht zu vergessen, was mit Edinburgh geschehen war.
    Es wird wieder kälter. Grigorij ging weiter, schlug den Mantelkragen hoch und rückte den Zylinder zurecht. Der Wettergott könnte sich endlich entscheiden. Er mochte die schwankende, feuchte Witterung überhaupt nicht, und entsprechend schlecht stand es um seine Laune.
    Nach ein paar Schritten blockierte ein korpulenter und teuer gekleideter Mann den schmalen Gehweg, zum einen durch seine Fülle, zum anderen durch die auseinandergefaltete Zeitung.
    Auch das noch! »Aus dem Weg, Sir. Sie werden einen anderen Platz finden müssen, um Ihre Nachrichten zu lesen.« Grigorij hatte die Hoffnung, ihn mit seiner dunklen Stimme zur Seite zu scheuchen. In den Klang legte er etwas Forderndes.
    Der Mann rührte sich nicht, der Kopf senkte sich nach unten. Er las ungerührt weiter.
    Grigorijs Lippen wurden schmal. Unter anderen Umständen, wie bei Sonnenschein oder herrlichem Schnee, wäre er irgendwie an dem breiten Mann vorbeigelangt. Heute jedoch nicht. Ihm fehlte noch ein passendes Präsent für seine Gemahlin, die Feuchte schlug sich auf seinem schwarzen Pelzmantel und den dunkelrot gefärbten Brillengläsern nieder. Und auf sein Gemüt. »Ich bin auf dem Weg, meine letzten Weihnachtsgeschenke zu erstehen, und ich gedenke nicht, Ihretwegen auf die belebte Straße und in die Pferdeäpfel zu treten. Es liegt mir fern, überfahren und beschmutzt zu werden, mein Lieber.«
    Es schien, als prallten seine Worte wirkungslos gegen die weiche Wand aus Mantel und Mann. »Halt die Schnauze, langhaariger Idiot, und geh außen rum«, murmelte er auf Deutsch, das Grigorij trotz seiner russischen Herkunft sehr wohl verstand.
    »Sir?«, wiederholte er seine Aufforderung und stampfte mit dem Stock auf. Es war fast schon zu viel verlangt, Gentleman zu bleiben.
    Der Dicke faltete endlich die Zeitung zusammen. Die größte Schlagzeile, das nahm Grigorij beiläufig wahr, fragte nach der Zukunft des Sudans, der unter ägyptisch-britischer Verwaltung stand. Gleich darunter stand zu lesen: Zar lässt auf Volk schießen –quo vadis, Russland?
    »Verzeihung, Sir«, gab der Mann auf Englisch mit bekanntem Akzent zurück und sah gelangweilt nach ihm. »Ich war beim Lesen.«
    Erst jetzt wurde die brünette Dame sichtbar, die vor ihm an den Auslagen gestanden hatte. Sie gehörte, ihrer aufwendigen Garderobe nach zu urteilen, der gehobenen Schicht der schottischen Provinzhauptstadt an.
    Anhand des Ausdrucks in ihren dunkelgrünen Augen und der Art, wie sie den Kopf leicht zur Seite drehte, sich an die Haare fasste und dabei leicht errötete, schloss Grigorij, dass sie ihn erkannt hatte. Und dass sie um seinen Ruf als perfekter Liebhaber wusste. Er deutete die Signale der Frau zumindest als Interesse an ihm und grinste draufgängerisch.
    Dabei sah er mit seinen etwas mehr als zwanzig Jahren recht jung und unerfahren aus für jemanden, der so viel erlebt hatte: einst gehetzt von den Mördern des Zaren, Held im Kampf am Berg Triglav gegen zahlreiche Drachen, ein Hellseher, dessen Prophezeiungen so gut wie jedes Mal eingetroffen waren.
    Er rieb sich über die schwarzen, dichten Koteletten und die Stoppeln des Drei-Tage-Barts am Kinn. Welch ein Fluch. Selbst als verheirateter Mann habe ich meine Attraktivität wohl nicht verloren. Die Avancen enden nie.
    Der Dicke hatte den Blick seiner Begleiterin nicht bemerkt und versuchte indes, bis zu den Auslagen des Geschäfts zurückzuweichen, doch es war immer noch zu wenig Platz. Die Fuhrwerke, Droschken und Automobile ratterten gefährlich dicht an ihnen vorbei.
    »Sie müssen Knjaz Zadornov sein«, hauchte die Dame, glitt an ihrem korpulenten Begleiter vorbei und hielt die Hand ausgestreckt. Sie buhlte regelrecht um seine Gunst, musterte seine schlanke Figur.
    Eine, die sich aufdrängt. Abgesehen
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