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Drachenkaiser

Drachenkaiser

Titel: Drachenkaiser
Autoren: Markus Heitz
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geschehen wird, er hat Vorrang. Schießt, wenn sie uns aufhalten wollen. Wir geben unser Leben für ihn, wenn es sein muss. Der Zeppelin ist bereit, falls der Meister zu schwach ist, um selbst zu fliehen. Und jetzt ausschwärmen«, befahl er. »Wenn ihn einer findet, gibt er das Pfeifsignal.« Sie nickten stumm.
    Er und Klara gingen nach links, an den Käfigen der Tierschau vorbei, die anderen teilten sich auf und huschten davon.
    Alfred spürte, wie seine Wut auf den Zirkus immer weiter wuchs. Sie zeigten den Drachen in der Vorführung in seiner ganzen Schönheit, doch in Wahrheit lag er in einem unwürdigen Käfig und wurde für ein paar Münzen extra als ein Kuriosum vorgeführt. Von Asiaten, die Drachen doch eigentlich verehren und anbeten! Dieser Verrat wog in seinen Augen doppelt so schwer. Ihr werdet eure Strafe bekommen.
    Es war Klara, die den Eingang entdeckte. »Da«, sagte sie und zeigte auf den schwarzen Vorhang, über dem ein Schild mit chinesischen Schriftzeichen hing; darunter war ein Drache gemalt. Sie lief los, ohne auf Alfreds Reaktion zu warten, der den vereinbarten Pfiff mehrmals hintereinander ausstieß und ihr folgte.
    Hinter dem Vorhang mussten sie in schummrigem Licht mehrere Stufen hinaufgehen und dann wieder durch einen schwarzen Vorhang treten, bevor sie in einem kleineren Pagodenzelt standen. Zehn rote und weiße Lampions hingen von der Decke und spendeten Helligkeit; zwei Scheinwerfer warfen ihre Kegel auf einen geräumigen Käfig mit mannsdicken Stahlstäben, hinter denen der Gesuchte lag und mit geschlossenen Augen döste: der goldene Drache Nie-Lung.
    »Meister!«, rief Alfred ergriffen und schluckte, dann eilte er zum Käfig und sank auf die Knie; Klara tat es ihm nach. »Göttlicher«, sprach er ehrfurchtsvoll und verneigte sich vor dem Wesen, das bis auf die kleinste Schuppe der Illusion im Zirkus glich. Er holte einen Zettel aus der Tasche, faltete ihn auseinander und schob ihn durch das Gitter. Auf Chinesisch stand geschrieben, was er nun in Lautschrift vorlas und heißen sollte: »Wir sind gekommen, um Euch zu befreien.«
    Es war wichtig, dem Drachen zu zeigen, was sie beabsichtigten. Die Befreiung blieb ein gefährliches Unterfangen, nicht nur wegen der Chinesen. Im Fall eines Missverständnisses seitens der Kreatur konnte es den Tod der gesamten Gruppe bedeuten. Apropos, wo bleiben sie eigentlich?
    Der Drache hob das rechte Lid, eine geschlitzte Pupille musterte zuerst das Papier, dann ihn. Der Kopf blieb weiterhin auf den Vordertatzen liegen.
    »Ahnte ich es doch: Er ist geschwächt. Er kann nicht einmal mehr das Haupt erheben«, sagte Alfred entrüstet. »Die Reisfresser geben ihm nicht, was ein stolzes Wesen wie er zum Leben benötigt. Schon allein dafür jagen wir ihren Zirkus in die Luft!«
    »Meister, wir sind die Drachenfreunde. Wir hörten vor einem Monat, dass der Zirkus es wagt, Euch zur Schau zu stellen, und sind gekommen, um dem ein Ende zu bereiten«, erklärte Klara beseelt von Glück, weil sie in der Nähe des verehrten Wesens sein durfte. »Ihr habt sicherlich von uns vernommen. Auch in China, nicht wahr? Wir kämpfen dafür, dass die Europäer Drachen nicht länger als Feinde, sondern als anbetungswürdige Geschöpfe …«
    »Das kannst du ihm später haarklein berichten«, fiel Alfred ihr maßregelnd ins Wort. Dass ihre Freunde noch nicht zu ihnen aufgeschlossen waren, ließ ihn Ungutes für ihr Schicksal vermuten. Jede Sekunde zählt. Er packte das dicke Schloss, mit dem die Doppeltür zusätzlich gesichert war, langte mit der freien Hand unter seine Jacke und zog einen Bund Dietriche hervor. »Eure Flucht ist vorbereitet, Meister. Ihr sollt nicht länger unwürdig zur Schau gestellt werden und zur Ergötzung derer dienen, die Euch verabscheuen.« Wieder zitierte er, was auf dem Blatt geschrieben stand. Da sie nicht wussten, ob er Deutsch verstand, hatte Alfred es lieber übersetzen lassen. Nicht, dass der Meister sie tragischerweise angriff. Es klickte mehrmals, doch noch weigerte sich der Mechanismus. »Verdammt!«
    Jetzt öffnete sich Nie-Lungs zweites Auge, und der Drache hob langsam den Kopf und schaute den Menschen bei ihren Bemühungen zu.
    »Meister, welche Freude!«, rief Alfred erleichtert. »Die nahe Freiheit bringt Euch die nötige Kraft zurück.«
    »Lass mich es versuchen.« Klara bewegte den Dietrich leicht hin und her.
    Das Rumpeln von Stiefeln erklang auf der Treppe; gleichzeitig schnappte der Bügel des Schlosses auf.
    Alfred riss die Tür
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