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Drachenblut

Drachenblut

Titel: Drachenblut
Autoren: David Lee Parks
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»Einen Unfall, sagen Sie?«
        »Jawohl, es muss eine schreckliche Explosion gegeben haben.«
        »Aber natürlich … das Labor … meine Arbeit!« Dr. Erzbergh zuckte innerlich zusammen, als ihn sein Gedächtnis wieder mit Bruchstücken aus seiner Vergangenheit konfrontierte. Es war ein wahres Wunder, dass er das Inferno überlebt hatte, und erst bei diesem Gedanken wurde er sich seiner gegenwärtigen Situation bewusst. Flehend blickte er zur Krankenschwester, bereit, die ganze Wahrheit zu erfahren. »Werde ich jemals wieder gesund werden?«
        Die Krankenschwester war bemüht, ihr Lachen zu unterdrücken, und versuchte es ihm schonend beizubringen. »Natürlich nicht, haha, wo denken Sie hin. Sie haben drei Jahre im Koma gelegen! Schauen Sie sich doch einmal an.«
        »Wieso, was ist denn?«
        Dr. Erzbergh sprang auf, wodurch die an seinen Körper angeschlossenen Schläuche und Kanülen herausgerissen wurden und zu Boden fielen. Die dazugehörigen Apparaturen quittierten diese Aktion sofort mit einem aufdringlichen Pfeifton. Dazu wiesen dutzende blinkende Lämpchen auf die plötzliche Funktionsstörung hin. Ehe ihn die Krankenschwester daran hindern konnte, schleppte sich Dr. Erzbergh zum Waschbecken hinüber. Blankes Entsetzen packte ihn, als er sich dort im Spiegel sah. Wer, oder präziser gefragt, was war denn das? Ein hässlicher Krüppel starrte zu ihm zurück, dessen Körper mit Brandwunden und Narben übersät war. Seine rechte Hand war durch die Detonation abgerissen worden und nach dem Unglück übrigens nicht mehr aufzufinden gewesen. Nur ein zerfetzter Armstumpf erinnerte ihn an die Hand, mit der er einst die Welt in die Knie hatte zwingen wollen. Die Finger seiner anderen Hand bestanden im Wesentlichen noch aus ein paar dürren Knochen, die durch die verbliebenen Sehnen und Muskeln nur notdürftig zusammengehalten wurden.
        Als Dr. Erzbergh seinen Kopf zur Seite drehte, verspürte er einen heftigen Stich im Nacken. Der Schrank mit den Ampullen war durch die gewaltige Druckwelle zerborsten, und eine Glasscherbe hatte sich gleich einem Schrapnell in seinen Hinterkopf gebohrt und dort einen Nervenstrang durchtrennt. An seiner linken Gesichtshälfte hing die Haut schlaff herab. Der Mundwinkel zeigte durch die Lähmung steil nach unten und entblößte einen gelben Zahn, dem die mangelnde Pflege der vergangenen Jahre deutlich anzusehen war. Dr. Erzbergh war auch nicht mehr in der Lage, seinen Mund vollständig zu schließen. Eine unangenehme Folge dieses Umstandes war die Tatsache, dass aus dem Mundwinkel beständig Speichel austrat, über die Unterlippe auf das Kinn lief und von dort auf den Boden tropfte. Das konnte zuweilen wirklich sehr unappetitlich aussehen.
        Die behandelnden Ärzte hatten eine operative Entfernung des Glassplitters als zu riskant abgelehnt. Es wurde allgemein als die vernünftigere Lösung erachtet, den Splitter dort zu belassen, wo er nun schon einmal war, damit eine durch einen chirurgischen Eingriff drohende weitere Schädigung der umliegenden Nervenbahnen ausgeschlossen wurde. Die Orthopäden, Anästhesisten, Chemotherapisten, Internisten, Dermatologen und andere Spezialisten hatten alle Hände voll zu tun gehabt, um zu retten, was noch zu retten war. Das war freilich nicht viel gewesen, und wenn Dr. Erzbergh einmal nicht das medizinische Interesse des Kollegiums auf sich zog, dann war er doch in der Kantine für die eine oder andere Pointe gut, mit denen die alten Hasen den jungen Krankenschwestern den Appetit verdarben.
        Da gab es zum Beispiel die beliebte Geschichte über die Nebenwirkungen der Elektroschocktherapie, bei der sich herausstellte, dass Dr. Erzbergh seine beiden Beine im Reflex kurz anzog und sie dann wieder von sich stieß, wobei er in seinen Schenkeln eine nicht unbedeutende Kraft entwickelte. Auf diese Weise konnte er Wattebällchen durch die Luft katapultieren, die ihm von den Ärzten zuvor auf die Zehenspitzen gelegt worden waren. In freier Anlehnung an die Experimente der Studienzeit nach Galvani, an die sich die Ärzte bei diesen Gelegenheiten gerne erinnerten, wurde dieses Spiel auch ‘Fröschli’ genannt. Gewonnen hatte derjenige, dessen Wattebällchen am weitesten geflogen war. Es blieb natürlich nicht aus, dass die Methoden eskalierten und die Stromstöße mehr und mehr erhöht wurden, um eine möglichst starke Reaktion des Patienten zu erreichen. Wenn also die Ärzte diese und andere Anekdoten in der
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