Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Silberfisch in gemeiner Mission

Dr. Silberfisch in gemeiner Mission

Titel: Dr. Silberfisch in gemeiner Mission
Autoren: Harald Tonollo
Vom Netzwerk:
nicht weniger als sechs Türen – und alle waren geschlossen. Langsam näherte er sich einer von ihnen.
    Sollte er sicherheitshalber anklopfen? Nein, zur Not würde er sich entschuldigen und sagen, dass er die Toilette gesucht habe.
    Langsam öffnete er die erste Tür einen Spaltbreit und schlüpfte in einen dunklen schmalen Gang, der nach zehn Schritten endete. Zögernd streckte er seinen Kopf nach vorn und spähte in einen düsteren gefliesten Raum, in den nur wenig Tageslicht drang.
    Nachdem sich Doktor Silberfisch an das Dämmerlicht gewöhnt hatte, vergaß er für einen kleinen Augenblick zu atmen. Da saß doch tatsächlich ein junger, äußerst dünner Mann nackt und mit geschlossenen Augen in einem Becken voller Ameisen!
    »Verzeihen Sie«, murmelte Doktor Silberfisch so vorsichtig wie möglich, um den jungen Mann nicht zu erschrecken.
    Debilius öffnete langsam ein Auge und schloss es dann wieder. Während der Doktor noch überlegte, was er nun tun sollte, fragte Debilius träge: »Gehören Sie zur Familie?«
    Der Doktor räusperte sich und antwortete etwas verwirrt: »Nun, nicht direkt. Ich habe die Toilette gesucht und bin versehentlich hier gelandet, in diesem … diesem … was ist das hier eigentlich?«
    »Oh, unser Entspannungspool.« Debilius blinzelte. »Möchten Sie auch ein Bad nehmen? Das Tausendfüßlerbecken ist noch frei – und das Spinnenbecken auch. Mir sind die Ameisen am liebsten. Sie piksen immer so herrlich, wenn sie auf einem herumkrabbeln.«

     
    »Ich … ich soll ein Entspannungsbad nehmen?«, fragte der Doktor verdutzt. »In einem Becken voller Spinnen?«
    »Oder Tausendfüßler«, antwortete Debilius. »Das ist Geschmackssache. Aber falls Ihnen die Ameisen am meisten zusagen, müssen Sie sich noch etwas gedulden. Ich war zuerst da!«
    »Äh, nein, äh, vielen Dank! Ich bin schon entspannt genug.« Debilius zuckte nur mit den Schultern und schloss erneut die Augen.
    »Also, ich gehe dann besser wieder. Und entschuldigen Sie die Störung.«
    Das ist eine Sensation, dachte Doktor Silberfisch auf dem Weg hinaus. Eine Sensation! Kinder, die an der Zimmerdecke schweben. Männer, die in Ameisen baden. Ich muss unbedingt die
Ätzdorfer Heimatzeitung
darüber informieren. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir:
Sie leben mitten unter uns!
Und darunter:
Genialer Arzt und Erfinder entdeckt unbekannte Menschengruppe in Ätzdorf!
    Ich werde berühmt! Endlich werde ich berühmt!

     
    Nachdem Prospera Rottentodd alle Lockenwickler aus ihren Haaren entfernt und die Gesichtsmaske mit warmem Distelsud abgewaschen hatte, stellte sie fest, dass ihre Haut tatsächlich so zart wie ein Kinderpopo war. Gut gelaunt schminkte sie ihre Augen wie immer tiefschwarz und überlegte, ob sie Lippenstift auftragen sollte. »Nein, heute nicht«, entschied sie und verließ das Bad.
    An Pollys Zimmertür angelangt, klopfte sie dreimal, weil ihre Tochter das so wünschte. Prospera Rottentodd hielt sich trotz ihrer fast 400 Jahre für eine moderne Mutter, die sich gerne einmal nach den Wünschen ihrer Kinder richtete. Auch wenn Pollyxenia aus ihr unverständlichen Gründen ein Mensch war,so liebte sie ihre Tochter trotzdem genauso sehr, als wäre sie eine echte Rottentodd.
    »Pollyxenia?«, rief Frau Rottentodd durch die geschlossene Tür, nachdem ihre Tochter auf ihr Klopfen nicht reagiert hatte. »Pollyxenia, ich komme jetzt herein!« Prospera Rottentodd drückte die Türklinke herunter, musste jedoch feststellen, dass die Zimmertür verschlossen war. »Pollyxenia, ist alles in Ordnung?«
    Nun, vielleicht ist sie doch schon wieder gesund und draußen im Garten, wunderte sich Frau Rottentodd und wollte gerade die Treppe hinuntergehen, als ihr Karla mit einer dampfenden Tasse entgegenkam.
    »Oh, die gnädige Frau«, sagte die Köchin nervös. »Karla bringt kleines Pollyxenia ein wenig von diese Medizin. Muss gnädige Frau sich machen keine Sorgen. Kleines Pollyxenia möchte aber sehen niemand außer Karla.«
    »Aber sie ist nicht in ihrem Zimmer«, erwiderte Prospera.
    »Nicht in Zimmer?«, stutzte Karla. »Das ist unmöglich. Kleines Pollyxenia schwebt doch …« Die Köchin biss sich auf die Lippen.
    »In Lebensgefahr?!« Frau Rottentodd war entsetzt.
    »Aber nein, nein, nein«, widersprach Karla. »Kleines Pollyxenia schwebt … in Garten … äh, aus Liebe zu … Herrn Debilius auf Wolke mit Nummer sieben.«
    »Aus Liebe zu Debilius?!« Jetzt war Prospera erst richtig entsetzt. »Meine kleine Tochter hat sich in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher