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Dornröschengift

Dornröschengift

Titel: Dornröschengift
Autoren: Krystyna Kuhn
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zusammen nach Hause gehen.
    Meine Eltern mögen es nicht, wenn ich alleine im Dunkeln unterwegs bin«, jammerte Lisa mit ihrer gewohnten Kleinmädchenstimme. Carlotta zögerte kurz, doch als Ruven ihr einen lauernden Blick zuwarf, schüttelte sie den Kopf. »Ich geh noch nicht nach Hause.« »Aber ich darf doch nicht alleine …«, versuchte Lisa es erneut. Carlotta zuckte mit den Schultern. »Dann komm halt mit. Wir müssen ja nicht lange bleiben.« Lisa blickte ihr erschrocken nach, doch hatte sie offenbar keine andere Idee, als den dreien zu folgen. Jamaica schüttelte den Kopf. »Gott, sind die bescheuert.« Eine Weile standen wir herum, ohne dass einer von uns etwas sagte. »Wenn du willst, kann ich dich mit dem Roller nach Hause bringen«, wandte sich Finn schließlich an mich. Bevor ich noch antworten konnte, pfiff Jamaica bereits anzüglich und schwang sich auf ihr Fahrrad: »Na, da will ich das junge Glück nicht stören.« Verlegen beobachtete ich Finn aus den Augenwinkeln. Zu den hellen, abgetragenen Jeans, die locker auf seinen schmalen Hüften hingen, trug er ein weißes Hemd, darüber einen grau-schwarz karierten Mantel, aus dem die Kapuze einer Sweatshirtjacke hervorschaute. Und Edelchucks aus hellbraunem Leder mit dem Aufdruck »Dr. Romanelli«. Ich mochte die Art, wie er sich kleidete. Mir gefiel auch, wie er seine Haare trug, wie sie sich unter der Baseballmütze lockten. Eine Strähne hing in die Stirn. Finn war erst seit einem halben Jahr auf der Schule und eine Klasse über uns, also in der elften. Seine Mutter führte ein exquisites Fischrestaurant am Rande des Dorfes. Von dort ging der Weg durch den Gespensterwald direkt zum Strand. Der Wald hatte alles, was ein Schauermärchen brauchte. Knorrige alte Bäume, ewigen Nebel, nackte Äste, die ihre Finger in die Luft streckten. Das Restaurant hatte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem beliebten Ausflugsziel für Touristen entwickelt, obwohl die Preise laut Jamaica nicht gerade billig waren. Sie musste es wissen, denn ihre Mutter arbeitete dort als Bedienung. Hin und wieder erzählte sie von den VIPs, die dort gegessen hatten. Finn hielt sich für gewöhnlich abseits, in der Schule sah man nicht viel von ihm. Aber er war fast zu jeder Tanzstunde gekommen und ich hatte ein paarmal mit ihm getanzt. Und auch wenn wir nicht viel miteinander gesprochen hatten, hatte ich mich auf Anhieb bei ihm wohlgefühlt, war nicht so verkrampft wie sonst immer. »Gehörst du auch zu denen, die nicht mit mir sprechen, weil sie mich für einen Freak halten?«, hörte ich Finn jetzt sagen. »Freak?« Ich schüttelte den Kopf. »Wie kommst du darauf?« »Weil du mir nicht antwortest. Ich habe dich gefragt, ob ich dich nach Hause bringen soll.« Ich schüttelte verlegen den Kopf. »Nein, mein Vater holt mich ab.« »Na denn«, er schwang sich auf den roten Roller, und bevor er den Helm überzog, wandte er sich noch einmal zu mir: »Tut mir echt leid, das mit deinem Bruder. Schade, dass ich ihn nicht gekannt habe, er soll ein wirklich cooler Typ gewesen sein. Das sagen alle.« Im nächsten Augenblick war sein Gesicht hinter dem Helm verschwunden und nur noch die Augen waren zu sehen. Ich hätte gerne gewusst, welche Farbe sie hatten, ob sie grün, braun oder blau waren. Doch im Dunkeln konnte ich das nicht erkennen. Finn hob zum Abschied die Hand und gab Gas. In der nächsten Sekunde war er verschwunden und ich dachte: Freak? Auf keinen Fall! In einen Freak könnte ich mich nie verlieben.

Nebel über dem Moor
    D er Nebel wurde immer dichter, bis ich die Hand nicht mehr vor den Augen sehen konnte, auch wenn es der Vollmond selbst jetzt noch schaffte, mit seinem Licht die graue Wand zu durchdringen. Laut Hendrik war der ständige Nebel hier in der Gegend eine Folge der ursprünglichen Moorlandschaft. Ob wohl trockengelegt, steckte die Feuchtigkeit noch immer tief in der Erde. Das sei seit Jahrtausenden so. Daran könne der Mensch nichts ändern. Hendrik und seine Geschichten. Vor lauter Kälte trat ich von einem Fuß auf den anderen und zog schließlich ungeduldig mein Handy aus der Tasche. Aber klar, wie immer, wenn man das Ding brauchte, war der Akku leer. Oder besser: Da ich es nur selten benutzte, war er nie auf geladen. Es nieselte nicht einmal richtig, aber die Feuchtigkeit drang im mer stärker durch meine Jacke. Ich zog den Reißverschluss bis ganz nach oben unters Kinn, wärmte die Finger mit meinem Atem und vergrub die Hände anschließend wieder tief in den
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