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Dornröschengift

Dornröschengift

Titel: Dornröschengift
Autoren: Krystyna Kuhn
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Ihre dunklen Augen blitzten. »Oder ich behaupte vor der ganzen Schule, du hättest mich aufgefordert, mit dir zum Abschlussball zu gehen. Im Mittelalter hätte das bedeutet, dass du mich heiraten musst. Du stehst doch auf diesen ganzen Middle-Age-Scheiß, oder?« »Ja, weil du da noch im Dschungel bei den Affen gelebt hast.« Nun klatschte Jamaica in die Hände und bewegte die Hüften wie bei einem Stammestanz. Ehrlich, ich bezweifelte, ob das Gewackel ihrer Hüften, geschweige denn die Melodie, etwas mit der Musik Jamaicas zu tun hatten, woher – laut der vagen Auskunft ihrer Mutter – Jamaicas Vater stammte. »Oh Gott«, stieß Valerie aus. »Die steht ja total unter Drogen.« »Ihr braucht vielleicht Drogen, damit ihr wenigstens ein bisschen Fantasie in euer Leben bringt«, erwiderte Jamaica spöttisch und zeigte ihre weißen Zähne. »Aber ich nicht. Ich kann mich auch so in einen Tanzflash beamen.« »Hast du eine Ahnung«, erwiderte Ruven und warf Valerie und Carlotta einen verschwörerischen Blick zu. Erwartungsgemäß brachen die beiden in Kichern aus, während Lisa nervös auf die Tastatur an ihrem Handy drückte. »He«, erklärte Jamaica und schob die Sonnenbrille in ihr Haar. »Ich weiß über euch Bescheid.« Sie musterte Ruven aus zusammengekniffenen Augen, als wüsste sie tatsächlich etwas. Ruven, Valerie und Carlotta hingen ständig zusammen herum. Sie nannten sich die Ghostriders und führten sich schlimmer auf als ein Geheimbund. Die meisten aus unserer Klasse fanden ihr Getue einfach albern. Wir waren schließlich aus dem Alter heraus, in dem man Banden gründet, Mutproben abhält und sich in Geheimsprachen verständigt, wie es bei ihnen üblich war. »Ich glaube, ich muss nach Hause«, jammerte Lisa und strich die blonden Haare aus dem Gesicht. »Ich muss nach Hause«, äffte Jamaica sie nach. »Zu Mama. Zur Frau Bürgermeisterin!« »Jamaica«, sagte ich. »Lass sie in Ruhe.« Mir tat Lisa leid. Sie wurde von allen nur »die dicke Barbie« genannt. Ohne die zehn Kilo Übergewicht wäre sie eine echte Schönheit gewesen. Aber das war es nicht, was mich an ihr störte, sondern wie sie Ruven anhimmelte und Valerie und Carlotta nachrannte, die sie nur verspotteten. »Hast ja recht.« Jamaica nickte mir zu. »Meine Zeit und mein Esprit sind zu wertvoll, um sie an die da zu verschwenden.« Sie machte ihr Fahrrad los, das sie an eine Straßenlaterne angekettet hatte. »He, Sofie, fahren wir ein Stück zusammen?« »Nein, mein Vater holt mich ab«, sagte ich und fügte seufzend hinzu: »Und keine Sorge! Morgen früh erkläre ich dir Physik!« »Wusste ich doch: Du rettest mir das Leben!« Jamaica rieb sich die Hände. »Mann, hast du es gut! Du wirst abgeholt und ich muss bei dieser Kälte noch mit dem Fahrrad fahren.« »Von wegen gut! Seit Mike…«Ich stockte. »Na ja, meine Mutter macht sich eben Sorgen.«
    »Sie glaubt immer noch, Mike kommt zurück, oder?«, fragte Jamaica leise. Jeder Spott war aus ihrer Stimme verschwun den. Ich zuckte mit den Schultern. Es war kein Thema, das ich gerne besprach, wenn die anderen dabei waren. »Oh, er wird von den Toten auferstehen«, hörte ich Ruvens übertrieben säuselnde Stimme. »Er wird aus dem Wasser stei gen und zurückkehren.« Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen, als er jetzt eiskalt fortfuhr: »Mann, kapierst du es nicht? Den hat längst der weiße Hai gefressen.« Für einen Moment herrschte erschrockenes Schweigen. Carlot ta schaute mich verlegen an. Ihr Blick schien mich um Verzei hung zu bitten, doch ich drehte mich weg. »Halt die Klappe, Ruven!«, erklang in diesem Augenblick eine entschiedene Stimme hinter uns. Im Licht der Straßenlampe stand Finn Jansen und hatte die Arme vor der Brust ver schränkt. »Ach ja?«, fragte Ruven. »Wieso?« Finn trat auf seinen Roller zu und löste seelenruhig das Schloss. Schließlich richtete er sich auf und grinste. »Weil du dich gera de zum Affen machst. Ich kapier nicht, wie du tatsächlich die Weiße-Hai-Nummer bringen kannst. Der Film ist uralt! Von 1975! Mann, das ist über dreißig Jahre her! Heute weiß jeder Erstklässler, dass Haie feige Biester sind!« »Was hat das damit zu tun, ob Sofies Bruder…«Eswar das ers te Mal, dass ich erlebte, wie jemand Ruven völlig aus dem Kon zept brachte. »Nichts.« Finn verzog keine Miene. »Ach!«, winkte Ruven betont gleichgültig ab. »Lasst uns gehen.« Valerie kicherte, als stände sie unter Drogen. »Aber Carlotta, wir sollten doch
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