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Dornröschengift

Dornröschengift

Titel: Dornröschengift
Autoren: Krystyna Kuhn
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aus. Aber, verdammt, zählte ich nicht auch? Der Abschlussball war ein wichtiges Ereignis! Das Event des Jahres! Außerdem – und mein Herz geriet bei diesem Gedanken etwas aus dem Takt – war es meine Chance, Finn zu treffen, mit ihm zu sprechen, mit ihm zu tanzen. Nein, ich konnte wirklich nicht mehr verstehen, dass ich einmal – wie alle Mädchen – für Ruven geschwärmt hatte! Aber wer bitte schön war Ruven im Vergleich zu Finn? Finn Jansen? Ich hatte zwar kaum mit ihm gesprochen, aber da war etwas in seinen Augen, wenn er einen ansah. Er war der erste Junge, bei dem ich von Anfang an das Gefühl hatte, er könne Mike das Wasser reichen.

Die Spieler
    A ls ich aus dem Gemeindehaus ins Freie trat, glänzte der Ne bel, angestrahlt vom Vollmond, in einem unwirklichen silbrigen Licht. Es war unerwartet schön. Doch wurde diese Stimmung schnell zerstört, sobald ein gutes Dutzend Schüler, die meisten aus meinem Jahrgang, laut la chend das Gemeindehaus verließen, um sich auf ihre Fahrräder zu schwingen und nach Hause zu fahren. »Oh Gott, kann mir jemand die Lorentzkraft erklären?«, fragte das Package, der eigentlich Paul hieß. Sein Gesichtsausdruck zeigte den für ihn typischen Ausdruck hilfloser Panik, egal, um welchen Unterrichtsstoff es ging. »Bewegen sich geladene Teilchen, wie zum Beispiel Elektro nen …«, begann ich seufzend und riss ungeduldig den Reißver schluss meiner Jacke nach oben, der klemmte. »Also wenn sich Elektronen senkrecht zu den magnetischen Feldlinien bewe gen, wird …« »Feldlinien?«, unterbrach mich Jamaica unbekümmert. Obwohl es dunkel und neblig war, trug sie eine riesige weiße Sonnen brille von H&M zu ihrer hellgrau schimmernden Jacke aus Syn thetik, die sie für ein paar Euro bei eBay erstanden hatte. »Habt ihr kein besseres Thema?« »Und wenn wir morgen in Physik einen Test schreiben?«, fragte ich zurück. »Und wenn nicht?« Die pechschwarzen Kraushaare standen ihr in alle Richtungen vom Kopf ab.
    »Oh nein! Bitte kein Test!«, jammerte das Package und fuhr sich mit der Hand durch die blonden Stoppelhaare. »Dunkelmann! Genau der richtige Name! Seit wir bei ihm Physik haben, tappe ich im Dunkeln, wenn es um die Welt geht. Elektronen! Mir doch egal, was die in geladenem Zustand treiben.« »Genau«, stimmte Jamaica ein. »Das ist ihre Privatsache und geht niemanden etwas an!« »Also wirklich, ohne Physik, Mathe oder Chemie würden wir im mer noch in einer Tropfsteinhöhle leben und spätestens mit zwanzig sterben.« Ich grinste sie an. »Hey, bleiben uns noch über vier Jahre, in denen wir jede Men ge Spaß haben können, ohne dass wir uns mit all dem Zeug ab plagen müssen.« Nein, Jamaicas Stimme zeigte keinerlei Anzei chen von Beunruhigung. »Außerdem kannst du mir das sicher morgen schnell in der Pause erklären.« »Schau selbst in dein Buch! Du bist und bleibst der totale Schmarotzer.« Frau Kaluza, unsere Tanzlehrerin, bereits über siebzig, aber fit wie ein Turnschuh, hatte uns durch den Saal gejagt: Blues, Fox, Jive, Cha-Cha-Cha, Rumba, Tango und Walzer. Das ganze Programm! »Außerdem verstehe ich es selbst nicht richtig«, fügte ich hinzu. »Von wegen!« Jamaica knuffte mich in die Seite. »Du schreibst ja doch wieder eine Eins.« »Das könntest du auch, wenn du nicht so faul wärest«, konterte ich. »Hab eben Besseres zu tun.« Und wie um ihre ständig gefährde te Schullaufbahn zu verdrängen, begann sie eine Melodie zu summen und aufreizend dazu zu tanzen. Vielleicht lag es an ihrer Herkunft, aber Jamaica steckte der Tango wirklich im Blut. Sie hielt die Hand eines imaginären Tanzpartners und machte, den Kopf dramatisch zur Seite ge neigt, drei fließende Schritte vor und wieder zurück.
    »Hey, Package«, rief sie. »Gehst du mit mir zum Abschlussball?« »Um Himmels willen!« Er riss dramatisch die Augen auf. »Meine Zehen sind mir heilig. Außerdem reißen sich die Mädels nur so um mich.« Er grinste, aber ich wusste, dass er trotz aller Albernheiten auf seine Herzensdame Carlotta hoffte, in die er seit der fünften Klasse verliebt war. Er würde auf sie warten, bis er achtzig war, hatte er mir einmal gestanden. »Deine Zehen? Das ist wohl eher umgekehrt«, lachte Jamaica ihn aus. Hinter uns drängten sich die letzten Teilnehmer des Kurses durch die Tür. »Hey, Jamaica, du stehst wie immer im Weg«, hörte ich Ruvens arrogante Stimme. »Geh zurück in die Karibik.« »Halt die Klappe, Ruven«, erwiderte Jamaica und nahm die Sonnenbrille ab.
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