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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld
Autoren: Anne Chaplet
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der seine Herrin verteidigen wollte, ihn angegriffen. Mary hatte nicht eingreifen können, sie wollte den Mann nicht aus Versehen erschießen und konnte erst, nachdem alles vorbei war, dem Tier den Fangschuß geben. Ihre Fingerabdrücke auf der Pistole überlagerten die von Martin Axt, und Moritz von Hartenfels und Katalina Cavic bestätigten diese Angaben.
    »Aber warum hat er auf Sie geschossen?« fragte Köster.
    »Er glaubte das, was er auch Ihnen hat weismachen wollen: daß ich im Besitz des von Paul Grunau unterschlagenen Geldes sei.«
    »Und das waren Sie natürlich nicht?«
    »Natürlich nicht. Deshalb hat er ja auf mich geschossen – aus Wut und Frustration.«
    Sager sah Köster an, Köster blickte ausdruckslos zurück. »Wer zum Teufel schießt auf jemanden, von dem er noch etwas erfahren will?« murmelte er.
    Niemand antwortete.
    »Und Sie? Was hatten Sie beide mit der ganzen Sache zu tun?« Sager sah Katalina und Moritz an.
    »Nichts«, sagte Mary.
    »Wir waren mit dem Hund unterwegs.« Moritz deutete mit dem Kinn auf Zeus.
    Katalina, die noch immer sichtlich unter Schock stand, nickte dazu.
    Schließlich drehten sie alle dem toten Mann und dem toten Hund unter den dunklen Planen den Rücken zu.
     
    Das Dossier. Das, was sie über Martin Axt angefertigt hatte damals, für Nicolai Ivanov, für den sowjetischen KGB: »Sehr ehrgeizig. Keine erkennbaren Laster. Jähzornig.« Es hatte ursprünglich anders gelautet.
    »Martin Axt ist eine schwer gestörte Persönlichkeit. Er ist im Krieg zwischen die Fronten geraten. Er weiß nicht, was richtig und was falsch ist. Er hat keine Loyalitäten. Er kennt keine übergeordneten Interessen. Er hat keinen Begriff von unserer Sache. Er kennt nur sich.«
    Sie hatte das alles weggelassen. Vielleicht liebte sie ihn nicht. Aber er war der einzige, dessen Geheimnis sie nicht verraten hatte.
     
    Frau Willke überschlug sich fast, als Mary zum Hotel zurückkehrte. »Das Blut!« rief sie händeringend und: »Der Hund!« Und zu guter Letzt: »Der arme Mann!«
    Der arme Mann hatte ihren künftigen Saunakeller als Privatgefängnis mißbraucht, und seine beiden Bodyguards waren abgefahren, ohne die Rechnung zu bezahlen. Aber Mary sagte nichts. Die Besitzerin des Hotels Viktoria Luise war nicht bösartig, sie war naiv und verführbar, wie jeder. Fast jeder.
    Mary versuchte, die Hundedecke zu übersehen, die noch immer neben ihrem Bett lag. Den Spielzeugball. Die Fellbürste. Die Tüte mit dem Trockenfutter. Aber die Trauer brannte sich hoch bis in die Kehle und nahm ihr die Luft. Sie schloß die Augen und konzentrierte sich auf ihre Mitte, bis sie wieder atmen konnte. Für Tränen war es zu früh.
    Die blutigen Kleidungsstücke ließ sie im Bad, nachdem sie länger als sonst geduscht hatte, Blut klebt. Sie legte Make-up auf, sparsam, zog die kamelfarbene, gerade geschnittene Hose an und einen dunkelgrünen Rollkragenpullover, dazu weiche Schnürstiefel. Draußen war es endgültig Herbst geworden, feucht und kühl und stürmisch. Sie ließ im Zimmer alles, wie es war, schloß hinter sich ab, legte den Schlüssel auf den Tresen der Rezeption, an der niemand saß, und nahm den Weg am Kleinen Schloß vorbei und durch die Barockgärten hinauf zum Großen Schloß. Ohne den Hund. Aber da war ein brennendes, ziehendes Gefühl an ihrer Seite, als ob ihr ein Körperteil fehlte und ein qualvoller Phantomschmerz daran erinnerte.
    Es gab nichts mehr zu befürchten und nichts mehr zu erhoffen. Noch nicht einmal der Gedanke an Gregor tröstete sie. »Wir sehen uns wieder in Blanckenburg«, hatten sie sich geschworen, damals. Und jetzt sahen sie sich endlich wieder – zu spät.
    Er wird nichts mehr von dir wissen wollen, flüsterte die Stimme schon seit Stunden. Er verachtet dich, wie dich auch dein Sohn verachtet. Und gib es zu: Du hast es verdient. Du warst eine bessere Kurtisane. Ach was, noch nicht einmal das. Wie nennt man eine Frau, deren Leben auf dem Verrat der Männer basiert, mit denen sie sich umgibt? Sag bloß nicht, du hättest wirklich geglaubt, auf der Seite des Guten zu stehen, für das man auch mal Schäbiges tun muß. Ein Jahrhundertirrtum. Und es hilft nichts, daß auch unzählig viele andere ihn begangen haben.
    Du hast aus Menschen Figuren auf einem Schachbrett gemacht.
    »Sie haben dich vergewaltigt, Marie«, hatte Henry gesagt, damals nach dem Krieg im Emsland, in den Jahren, in denen sie sich die Köpfe heiß geredet hatten. »Die Stalinisten haben meinen Vater
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