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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld
Autoren: Anne Chaplet
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decken. Und …« Er brach ab. Er mußte Moritz’ geballte Fäuste gesehen haben.
    »Das kann nicht dein Ernst sein.« Moritz versuchte, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. »Sie hat Katalinas Leben riskiert. Sie hat uns alle in Gefahr gebracht, nur weil sie nicht herausrücken wollte, was ihr noch nicht einmal gehört.« Die neue Wut auf sie verband sich mit dem alten Zorn des verlassenen Kindes.
    »Du bist ungerecht.« Katalinas Stimme klang noch immer müde. »Sie hat recht gehabt, deine Mutter. Der Mann dachte nicht daran, sein Wort zu halten.«
    »Na also«, sagte Gregor mit skrupelloser Heiterkeit. »Dann holt sie endlich her. Deine Mutter. Meine Mathilde.«
    »Du bist verrückt. Du bist nicht besser als sie.« Moritz war aufgestanden und zum Fenster gegangen. Er sah sie noch immer dort stehen, verloren, verwirrt, unendlich einsam, so, wie er sie stehengelassen hatte vor wenigen Stunden. Er hatte die Frau, die seine Mutter war, fortgeschickt.
    »Ich will gar nicht besser sein als sie. Und du bist es auch nicht«, gab der Alte zurück. »Nun mach schon!«
    Moritz drehte sich um und blickte an Gregor vorbei ins Leere. »Sie ist abgereist, Gregor. Und das ist auch besser so.«
    Sie ließen den Alten wüten und toben. Er war glücklicherweise noch zu schwach, um aufzustehen und etwas Dummes anzustellen.
    Doch als Katalina ihm am nächsten Morgen das Frühstück bringen wollte, war Gregor Graf von Hartenfels zu Blanckenburg verschwunden.
11
    Mary schloß die Finger um den kleinen metallenen Gegenstand. Der Schlüssel, nach dem alle gesucht hatten, lag da, wo er sich die ganze Zeit über befunden hatte, wo jeder vernünftige Mensch Wertgegenstände vermutet hätte: im Hotel Viktoria Luise, im Tresorfach im Zimmer Schloßblick. Aber genau da hatte niemand nachgeschaut. Warum auch? Sie hatte das Fach nicht abgeschlossen und den Tresorschlüssel steckenlassen, also dürften ihre heimlichen Besucher davon ausgegangen sein, daß auch nichts drinnen war.
    Die meisten Menschen übersehen das Offensichtliche.
    Mary steckte den Schlüssel in die Hosentasche. Dann verließ sie das Zimmer. Es war früh, niemand war unten an der Rezeption. Aus der Küche hörte man Geschirrklappern. Vor dem Hotel saß eine Amsel und sah sie aus dunklen Knopfaugen an. Sie atmete langsam ein und wieder aus in der feuchten Herbstluft und nahm den Weg hinunter zum Kleinen Schloß. Eine einsame Gestalt saß auf einer Bank in den Barockgärten und grüßte hinüber. Mary lief an der alten Mauer entlang, immer weiter, bis sie am See anlangte. Man hatte aufgeräumt, es war nicht mehr viel zu sehen vom gestrigen Drama, nur zertrampeltes Gras und aufgewühlte Erde, und dort, wo die morsche Planke im Bootssteg durchgebrochen war, sicherte ein rot-weißes Band das klaffende Loch.
    Als sie ans Ufer trat, erhob sich ein Reiher und strich nach einer Runde über den See majestätisch davon. Nach einigen Minuten fingen die Frösche, die wachsam Ruhe gehalten hatten, wieder an zu quarren. Mary kühlte ihre Hände im dunklen Wasser. Dann fühlte sie in der Hosentasche nach dem Schlüssel. Ihre Finger umfaßten das Stück Metall, das Körperwärme angenommen hatte. Dafür also waren Menschenopfer gebracht worden. Nicht nur Martin, auch sie war dem kalten Zauber erlegen – zwar nur kurz, aber lange genug. Es gibt Geschichte, die läßt sich nicht abwaschen. Und Blanckenburg und die Liebe zweier Männer waren nicht käuflich.
    Mary hielt das Gesicht in die Morgenbrise und atmete tief ein. Ihr Blick ging über den See, dessen Oberfläche sich sanft kräuselte. Dann nahm sie die Ausgangsstellung ein. Das linke Bein nach vorn, die Hände zum Tigermaul geformt. Die Hände langsam wenden, so daß die Handflächen nach innen zeigen. Das Gewicht nach hinten verlagern, die Spannung aus den Händen weichen lassen. »›Selbst Gold setzt Rost an‹«, flüsterte sie. »›Im Blattwerk bergen sich alte Zeiten.‹«
    Sie glitt hinüber in die Bewegungsfolgen des ersten Rades. Wasser.
    »›In der Welt zu sein, womit läßt sich das vergleichen?‹« Sie sah die metallgraue Fläche des Sees vor sich, in der sich der Himmel spiegelte, und bewegte die Hände, als würde sie sie mit dem Handrücken voraus durchs Wasser ziehen. Sie atmete ein und wieder aus und ließ die Hände sinken und nach hinten gleiten. »›Als sei im Frühlicht ein Boot herausgerudert, das keine Spuren hinterläßt.‹«
    Sie verlagerte ihr Gewicht nach hinten und spürte, wie sich ihr Körper
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