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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld
Autoren: Anne Chaplet
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rührte sich nicht vom Fleck.
    Mary legte die Hand auf den Kopf des Hundes. Sie zögerte einen Moment. Dann flüsterte sie: »Sirius.« Lux schnellte wie ein schwarzer Schatten vor. Axt mußte die Bewegung aus den Augenwinkeln gesehen haben, er schwenkte um, riß die Pistole hoch, drückte ab. Dann hatte er eine fast 40 Kilo schwere Furie an der Kehle.
    Mary hätte sich am liebsten Augen und Ohren zugehalten. Axt hatte den Kopf des Hundes gepackt und versuchte, das Tier mit bloßen Händen abzuwehren. Lux ließ sich nicht abschütteln. Axt machte ein paar Schritte zurück, stolperte, fing sich wieder. Dann hatte er ein Ohr des Hundes zu fassen gekriegt, ein Schmerzenslaut mischte sich unter das Knurren des Tiers, aber es ließ nicht ab. Martins Hände bluteten, seine Augen waren weit aufgerissen, er schrie ihren Namen: »Marie! Bitte!« Der Hund übertönte den Hilferuf mit geiferndem, kehligen Knurren. Mary wollte nicht hinsehen, aber es gelang ihr auch nicht wegzusehen.
    »Aufhören!« Katalinas Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. Sie hörte Moritz beruhigend auf sie einreden. Zeus winselte und japste aufgeregt. Axt war immer weiter zurückgewichen, er stand jetzt am Bootssteg, noch immer wehrte er den Hund ab, der nach ihm schnappte, nach Beinen, Armen, Händen und immer wieder versuchte, ihm an die Kehle zu gehen. Die Pistole hatte Axt längst fallen gelassen. Mary setzte sich in Bewegung, langsam. »Marie! Hilf mir!« Axt war blutüberströmt, sein Gesicht eine schmerzverzerrte Maske. Sie bückte sich und hob die Pistole auf.
    In diesem Moment hörte sie ein trockenes Geräusch, ein Knacken und Bersten, das sich unter das Geifern des Hundes mischte. Sie sah auf. Das morsche Holz des Bootsstegs hatte nachgegeben, Axt war mit dem Fuß zwischen die gebrochenen Planken geraten, er stürzte, fiel nach hinten, schreiend. Und jetzt war Lux über ihm. Der schwarze Schäferhund verbiß sich in die Kehle seines Opfers und schüttelte den Mann, als ob er ein Hase wäre. Die gurgelnden Schreie des Mannes wurden übertönt von den kehligen Lauten des wildgewordenen Tieres, die sich anhörten, als ob es nie menschliche Nähe gekannt hätte. Dann war es vorbei.

8
    Lux stand mit eingezogenem Schweif über dem Leichnam von Martin Axt. Das Knurren ging in ein ratloses Winseln über. Der Hund wirkte verwirrt, als ob er die Bestie nicht kannte, die soeben noch ihren Blutrausch ausgetobt hatte.
    Eine Amsel hatte zu singen begonnen, irgendwo in einem der Bäume des Parks. Ein Flugzeug drehte seine Runde über ihren Köpfen, Touristen, die Blanckenburg von oben sehen wollten. Mary hörte Katalinas mühevolles Atmen und das Japsen von Zeus.
    Mary flüsterte den Namen des Hundes, ihres Lieblingstiers, ihres Gefährten, des besten Blindenhundes, den sie jemals ausgebildet hatte. Lux hob den Kopf und kam langsam auf sie zu, hinkend, den Schweif zwischen die Beine geklemmt. Das rechte Ohr hing herunter, Axt schien es dem Tier beinahe abgerissen zu haben. Mary ging in die Hocke, nahm das zitternde Wesen in den Arm und scherte sich nicht um das Blut, von dem sie nicht wußte, ob es von Axt oder von Lux stammte. Der Hund winselte, als er ihre Tränen spürte und versuchte, ihr das Gesicht zu lecken. Mary streichelte das Tier mit einer erstickenden, einer würgenden, einer sie überflutenden Zärtlichkeit und flüsterte ihm ein paar hilflose Worte der Liebe ins Ohr.
    Hinter sich hörte sie Moritz reden, er schien die Polizei angerufen zu haben und bat um einen Notarzt. Dann fiel das Wort »Bestie« und »gemeingefährlich«.
    Nein, dachte sie. Lux war keine Bestie und nicht gemeingefährlich. Nur einem einzigen Menschen war sie gefährlich geworden, Martin Axt, dem Mary einen solchen Tod nicht gewünscht hatte. Aber sie mußte sich entscheiden, und sie hatte sich entschieden: für ihren Sohn.
    Dann stand sie auf. Lux blieb sitzen und bewegte langsam den Schweif. Sie sahen einander in die Augen, Herrin und Hund. Mary streckte die Hand aus und legte sie Lux sanft über die Augen. Das Tier schmiegte seinen Kopf an ihre Hand. Dann hob sie die Pistole, hielt sie Lux ans Ohr und drückte ab.
    Einen Menschen töten zu müssen ist das Schlimmste, was einem Hund passieren kann.
    Und den Befehl dazu hatte sie gegeben.
9
    Sager und Köster glaubten ihnen nicht, was man ihnen noch nicht einmal verübeln konnte. Aber sie vermochten den Tathergang auch nicht zu bestreiten: Axt hatte auf Mary gezielt und Katalina getroffen, daraufhin hatte der Hund,
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