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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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Zusammenarbeit hätten vermieden werden können. Denn in der Tat stimmen Text und Musik nicht immer überein. Doch genau darin sehen manche die Schönheit dieser Komposition; damit erklären sie auch das Terzett im Paradies und die Abel-Arie, die Gesänge der Guillotine und die Sklavenchöre. Nicht selten aber wiederholten sich ohne ersichtlichen Grund die Motive, und das mache sie eintönig. Auch gebe es undurchsichtige Stellen, weil der Maestro übermäßig viele Chöre einsetze, wodurch der Sinn oftmals diffus werde. Die Orchesterstellen seien indes trefflich gemacht; so die Meinung von Unparteiischen.
    Die Freunde des Maestro waren der Meinung, es lasse sich nur schwerlich ein zweites so vollkommenes Werk finden. Zwar gab der eine oder andere eine gewisse Rauheit und hie und da auch kleine Schwächen zu, doch könnten diese mit der Weiterentwicklung der Oper sicherlich korrigiert oder erklärt werden. Und die Rauheit werde schließlich ganz verschwinden, weil der Maestro sich nicht weigern werde, sein Werk dort zu verbessern, wo es nicht ganz dem erhabenen Geiste seines Dichters entsprach. Dessen Freunde waren indes anderer Ansicht. Sie schworen, dass das Libretto verfälscht worden sei, dass die Partitur den Sinn des Textes entstelle, und obgleich sie an manchen Stellen schön und an anderen gar kunstvoll gearbeitet sei, werde sie doch dem dramatischen Text nicht gerecht und widerspreche ihm sogar. Das Groteske der Oper sei beispielsweise im Text gar nicht enthalten; dies sei ein Auswuchs, der die «Lustigen Weiber von Windsor» imitieren wolle. Diesem Punkt widersprachen wiederum mit einigem Recht die Satanisten. Sie sagten, zu dem Zeitpunkt, als der junge Satan seine große Oper komponierte, habe es diese Komödie und auch Shakespeare selbst noch gar nicht gegeben. Sie behaupteten sogar, der englische Dichter habe keine andere Kunst bewiesen als den Text der Oper abzuschreiben, wenngleich mit so großer Meisterschaft und Treue, dass er nun selbst als Urheber dieser Komposition gelte. Doch sei er ganz offensichtlich ein Plagiator.
    «Dieses Stück», schloss der alte Tenor, «wird so lange auf dem Spielplan bleiben, wie es dieses Theater, unsere Erde, gibt. Wann es aufgrund irgendwelcher kosmischen Notwendigkeiten abgerissen wird, lässt sich nicht sagen. Sein Erfolg wird immer größer. Dichter und Musiker erhalten pünktlich ihre Tantiemen, wenn auch nicht in gleicher Höhe, denn der Verteilungsschlüssel ist der der Heiligen Schrift: ‹ Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt › . 11 Gott erhält seinen Anteil in Gold, Satan in Papier.»
    «Das klingt lusti g …»
    «Lustig?», brüllte der Tenor wütend. Doch er beruhigte sich sogleich wieder und hob erneut zu erklären an: «Mein lieber Santiago, ich bin nicht lustig. Lustige Dinge sind mir zuwider. Was ich hier sage, ist die reine, die endgültige Wahrheit. Wenn eines Tages alle Bücher verbrannt sind, weil sie nutzlos sind, wird es jemanden geben, einen Tenor vielleicht und womöglich sogar einen italienischen, der die Menschheit diese Wahrheit lehren wird. Alles ist Musik, mein Freund. Im Anfang war das C, und aus dem C wurde das D und so weiter. Dieses Likörglas zum Beispiel», und er schenkte es wieder voll, «dieses Likörglas ist ein kurzer Kehrreim. Hört man das nicht? Man kann auch das Holz und den Stein nicht hören, doch alles gehört zu ein und derselben Oper.»
    10
    Ich glaube an die Theorie
    Das ist ohne Zweifel zu viel der Metaphysik für einen einzigen Tenor, doch der Verlust der Stimme erklärt alles, außerdem gibt es auch Philosophen, die letzten Endes nichts anderes sind als arbeitslose Tenöre.
    Ich glaube an die Theorie meines alten Marcolini, lieber Leser, nicht nur, weil ich sie für sehr wahrscheinlich halte, was ja oft schon die ganze Wahrheit ist, sondern weil mein Leben sich gut in diese Definition einfügt. Ich habe ein äußerst zartes Duett gesungen, danach ein Terzett und schließlich ein Quartett … Aber wir wollen nichts vorwegnehmen; kehren wir zurück zum ersten Akt, in dem ich erfuhr, dass ich bereits sang, denn José Dias’ Eröffnung war in erster Linie für mich bestimmt gewesen. Mir hatte er etwas eröffnet.
    11
    Das Gelübde
    Kaum dass ich José Dias, unseren Hausfreund, im Flur verschwinden sah, verließ ich mein Versteck und rannte zu der Veranda im hinteren Teil des Gebäudes. Ich wollte weder etwas von den Tränen meiner Mutter wissen noch von dem Grund, der sie sie vergießen ließ. Vermutlich
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