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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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nämlich eigene Persönlichkeiten, kaum geringer als die Arme, und sie führen ein Eigenleben, wenn sie nicht vom Kopf und seinen Gedanken gesteuert werden. Meine Beine gelangten also an das Mäuerchen. Es gab dort eine Verbindungstür, die meine Mutter hatte einfügen lassen, als Capitu und ich klein waren. Sie besaß weder Schloss noch Riegel, man öffnete sie, indem man an der einen Seite drückte und an der anderen zog. Verschlossen wurde die Tür durch das Gewicht eines Steins, der an einem Strick hing. Sie wurde fast ausschließlich von uns benutzt. Als wir klein waren, besuchten wir uns gegenseitig, indem wir auf der einen Seite anklopften und auf der anderen mit allen Ehren empfangen wurden. Wenn Capitus Puppen erkrankten, spielte ich den Arzt. Ich betrat ihren Garten mit einem Stecken unter dem Arm, der den Spazierstock von Doktor João da Costa darstellen sollte. Ich fühlte der Kranken den Puls und bat sie, mir ihre Zunge zu zeigen: «Sie ist taub, die Arme!», rief Capitu aus. Ich kratzte mich am Kinn wie der Doktor und ließ der Puppe schließlich ein paar Blutegel anlegen oder ein Brechmittel verabreichen: Das waren die üblichen Therapien des Arztes.
    «Capitu!»
    «Mama?»
    «Hör auf, die Mauer zu zerlöchern, und komm her.»
    Die Stimme der Mutter klang nun näher, als käme sie bereits vom Hintereingang. Ich wollte in den Garten treten, doch meine Beine, die es gerade noch so eilig gehabt hatten, blieben nun wie angewurzelt stehen. Dann aber gab ich mir einen Ruck, drückte das Tor auf und trat ein. Capitu hatte ihr Gesicht der Mauer zugewandt und ritzte etwas mit einem Nagel hinein. Das Knarren der Tür veranlasste sie, sich umzublicken. Als sie mich sah, lehnte sie sich gegen die Mauer, als wollte sie etwas verbergen. Ich ging zu ihr und wirkte natürlich etwas befangen, worauf sie sogleich auf mich zukam und besorgt fragte:
    «Was hast du?»
    «Ich? Nichts.»
    «Natürlich hast du etwas.»
    Ich wollte darauf bestehen, dass ich nichts hatte, fand aber keine Worte. Ich war nur Augen und Herz, und bald würde mein Herz sich bestimmt über den Mund Ausdruck verschaffen. Ich konnte meinen Blick nicht von diesem vierzehnjährigen Geschöpf abwenden, das hochgewachsen, wohlgenährt und kräftig in dem leicht verwaschenen, engen Kattunkleid vor mir stand. Das volle Haar war zu zwei Zöpfen geflochten, die über ihren Rücken fielen und an den Spitzen nach damaliger Mode zusammengebunden waren. Ihr Haar war dunkel, die Augen hell und klar, die Nase lang und gerade. Ihr Mund war klein und das Kinn ausladend. Ihre Hände waren trotz der bisweilen harten Arbeit liebevoll gepflegt; sie rochen nicht nach feiner Seife und auch nicht nach Eau de Toilette, denn sie hielt sie mit Brunnenwasser und gewöhnlicher Seife makellos sauber. Capitu trug flache, alte Leinenschuhe, die sie selbst schon ein paarmal gestopft hatte.
    «Was hast du?», fragte sie erneut.
    «Ich habe nichts», stammelte ich schließlich.
    Doch dann verbesserte ich mich: «Es ist nur wegen einer Nachricht.»
    «Wegen was für einer Nachricht?»
    Ich wollte ihr erklären, dass ich ins Priesterseminar müsse, und dabei beobachten, was dies bei ihr auslöste. Wäre sie bestürzt, hieße das, dass sie mich wirklich gern hatte, wäre sie es nicht, hätte sie mich nicht gern. Doch das war nur eine vage und flüchtige Überlegung. Ich spürte, dass ich nicht in der Lage sein würde, mich klar auszudrücken, weil mein Blick irgendwie, ich weiß nicht wi e …
    «Nun sag schon.»
    «Du weißt doc h …»
    Als ich dies sagte, fiel mein Blick auf das Mäuerchen, das sie laut ihrer Mutter zerlöchert hatte. Ich sah ein paar eingekratzte Striche oder eingeritzte Buchstaben und erinnerte mich an ihren Versuch, diese zu verdecken. Ich machte Anstalten, mich der Mauer zu nähern, um sie genauer in Augenschein nehmen zu können. Capitu hielt mich zunächst zurück, rannte dann aber, vielleicht aus Angst, ich könnte ihr entkommen, oder um mich anderweitig an einer Entdeckung zu hindern, selbst zu der Mauer und versuchte, das Geschriebene wegzuwischen. Das schürte jedoch nur meine Neugier.
    14
    Die Inschrift
    Was ich am Ende des letzten Kapitels erzählt habe, war Sache eines einzigen Augenblicks. Was folgte, ging noch schneller. Ehe Capitu den Mauerputz wieder glätten konnte, tat ich einen Satz nach vorn und las diese beiden mit dem Nagel eingeritzten Namen:
    BENTO
    CAPITOLINA
    Ich drehte mich zu Capitu um. Sie sah zu Boden. Dann blickte sie auf, langsam, und
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