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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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waren es ihre geistlichen Absichten, und über deren Hintergründe werde ich nun berichten, weil es damals bereits eine alte Geschichte war, die sich sechzehn Jahre zuvor ereignet hatte.
    Die Absichten meiner Mutter stammten aus der Zeit, in der ich gezeugt wurde. Da ihr erster Sohn eine Totgeburt gewesen war, legte sie ein Gelübde ab, damit das zweite Kind gedeihe, und versprach Gott, es der Kirche zu überstellen, wenn es ein Junge würde. Vielleicht hoffte sie insgeheim auf ein Mädchen. Meinem Vater erzählte sie nichts davon, weder vor noch nach meiner Geburt; sie beabsichtigte, es ihm zu sagen, wenn ich in die Schule käme, doch er starb vorher. Als sie dann Witwe war, erschien ihr der Gedanke, sich von mir trennen zu müssen, unerträglich. Da sie aber fromm und gottesfürchtig war, suchte sie Zeugen für ihr Gelübde und vertraute es Verwandten und Familienangehörigen an. Einzig in der Absicht, die Trennung von mir so lange wie möglich hinauszuzögern, ließ sie mich zu Hause durch Pater Cabral unterrichten, einen alten Freund Onkel Cosmes, der abends immer zum Spielen kam. Er lehrte mich die ersten Buchstaben sowie Latein und die Glaubenslehre.
    Ein Vertrag mit sehr langen Fristen unterschreibt sich leicht, und die Fantasie macht diese Zeiträume unendlich. Meine Mutter ließ die Jahre verstreichen, machte mir aber indessen das Priestertum schmackhaft. Meine Spielsachen, die frommen Bücher, die Heiligenbildchen und häuslichen Unterhaltungen, alles wies in Richtung Altar. Wenn wir in die Kirche gingen, sagte sie mir stets, es gehe darum, dass ich lernte, was ein Priester zu tun habe. Ich sollte auf den Pfarrer achten und nicht die Augen von ihm abwenden. Zu Hause spielte ich Gottesdienst, allerdings eher heimlich, denn meine Mutter war der Ansicht, die Messe sei keine Sache, mit der man spiele. Wir bauten uns einen Altar, Capitu und ich. Sie war der Messdiener, und wir wandelten das Ritual dergestalt ab, dass wir uns die Hostie teilten. Die war nämlich stets eine Süßigkeit. Damals hörte ich meine Nachbarin häufig fragen: «Gibt es heute einen Gottesdienst?» Ich wusste, was das bedeutete, bejahte und lief los, die Hostie zu erbitten, wenngleich unter anderem Namen. Sobald ich damit wiederkam, richteten wir den Altar her, murmelten ein paar Worte in schlechtem Latein und kürzten die Zeremonie ab. Dominus, non sum dignu s … Was ich hätte dreimal sagen müssen, sagte ich gewiss nur einmal, so groß war die Naschhaftigkeit von Pfarrer und Messdiener. Wir tranken weder Wasser noch Wein. Letzteres besaßen wir nicht, und Ersteres hätte uns nur den köstlichen Geschmack der Opfergabe genommen.
    In letzter Zeit war jedoch keine Rede mehr von dem Priesterseminar gewesen, sodass ich gar annahm, es habe sich erledigt. Meine fünfzehn Jahre und die fehlende Berufung verlangten eher nach dem Seminar der Welt als nach dem von São José 12 . Meine Mutter sah mich oftmals lange an, wie eine verlorene Seele, oder sie ergriff ohne jeglichen Anlass meine Hand und drückte sie fest.
    12
    Auf der Veranda
    Auf der Veranda hielt ich inne. Ich fühlte mich schwindlig, betäubt, meine Beine zitterten und das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wagte es nicht, in unseren Garten hinab- und in den Nachbargarten hinüberzugehen. Also begann ich, auf der Veranda auf und ab zu wandern, wobei ich mich zwischendurch immer wieder festhalten musste. José Dias’ Worte hallten diffus in meinen Ohren wider:
    «Stecken dauernd zusamme n …»
    «Haben Geheimnisse miteinande r …»
    «Wenn sie sich ineinander verliebe n …»
    Ihr Ziegelsteine, auf die ich an jenem Tage trat, ihr gelblichen Säulen, die ihr links oder rechts an mir vorbeizogt, je nachdem, ob ich hin- oder herlief, ihr alle erlebtet meine Krise hautnah mit, diese neue Lust, die mich durchströmte und gleich darauf wieder verließ, die mich schaudern ließ und eine Art Balsam in mein Inneres ergoss. Manchmal ertappte ich mich auch dabei, dass ich lachte, ein zufriedenes Lachen, das im Widerspruch stand zu meiner abscheulichen Sünde. Und die Stimme wiederholte wirr:
    «Haben Geheimnisse miteinande r …»
    «Dauernd zusamme n …»
    «Wenn sie sich ineinander verliebe n …»
    Eine Kokospalme, die meine Unruhe bemerkte und den Grund dafür erahnte, raunte mir von ihrer Höhe herab zu, es sei nichts Schlimmes, wenn fünfzehnjährige Jungen sich mit vierzehnjährigen Mädchen in den Ecken herumdrückten, im Gegenteil, junge Menschen hätten in diesem Alter gar keine
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