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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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Allerbeste. Und glaube nur nicht, lieber Leser, dass er eine unterwürfige Seele war; seine Schmeicheleien entsprangen eher einer Berechnung als seinem Naturell. Seine Kleidung hielt lange. Im Gegensatz zu jenen Menschen, die ihre neuen Kleider schnell schmutzig machen, trug er seine alten gebürstet und gebügelt, geflickt und ordentlich zugeknöpft mit einfacher, bescheidener Eleganz. Er verfügte über eine gewisse, wiewohl oberflächliche Bildung, mit der er aber dennoch beim Abendessen oder beim Dessert glänzen konnte, wenn er Phänomene erklärte oder über die Auswirkungen von Hitze und Kälte, über die Pole oder auch über Robespierre sprach. Oftmals erzählte er auch von seiner Europareise und gestand uns, dass er längst dorthin zurückgekehrt wäre, gäbe es nicht uns in seinem Leben. Er hatte Freunde in Lissabon, doch unsere Familie sei für ihn nach Gott das Wichtigste, wie er sich ausdrückte.
    «Nach oder vor Gott?», fragte Onkel Cosme einmal.
    «Nach Gott», antwortete José Dias ehrfurchtsvoll.
    Meiner Mutter, die sehr religiös war, gefiel es, dass er Gott den gebührenden Platz einräumte, und sie lächelte zustimmend. José Dias neigte zum Dank den Kopf. Von Zeit zu Zeit steckte meine Mutter ihm auch ein paar Münzen zu, und Onkel Cosme, der Rechtsanwalt war, betraute ihn mit der Abschrift seiner Akten.
    6
    Onkel Cosme
    Seit dem Tod meines Vaters lebte Onkel Cosme bei meiner Mutter. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits verwitwet, ebenso wie Base Justina; es war das Haus der drei Verwitweten.
    Das Schicksal steht oftmals in einer Wechselbeziehung zur Natur. Onkel Cosme, der eher den heiteren Seiten des Kapitalismus zugeneigt war, wurde nicht reich mit der Juristerei: Er gab alles für Essen aus. Seine Kanzlei lag in der ehemaligen Rua das Violas, ganz in der Nähe des Gerichts, das in dem alten Aljube-Gefängnis untergebracht war. Onkel Cosme arbeitete als Strafverteidiger. José Dias verpasste keines seiner Plädoyers. Er war es, der ihm die Robe anlegte und unter zahlreichen Komplimenten wieder abnahm. Zu Hause berichtete er dann von den Gerichtsverhandlungen. So bescheiden Onkel Cosme auch sein wollte, lächelte er doch stets voller Stolz.
    Er war dick, schwer und kurzatmig. Seine Augen wirkten verschlafen. Zu meinen ältesten Erinnerungen zählt die, wie er morgens das Reittier bestieg, das meine Mutter ihm geschenkt hatte und das ihn in die Kanzlei brachte. Der Sklave, der es aus dem Pferdestall geholt hatte, hielt es am Zügel fest, während Onkel Cosme seinen Fuß in den Steigbügel setzte. Es folgte eine Minute des Ausruhens oder Nachdenkens. Schließlich gab er sich einen Ruck, den ersten, und sein Körper drohte sich zu erheben, erhob sich aber nicht. Der zweite Ruck hatte die gleiche Wirkung. Nach einer Weile nahm Onkel Cosme schließlich seine ganze körperliche und seelische Kraft zusammen, holte ein letztes Mal Schwung und landete tatsächlich im Sattel. Fast immer machte das Reittier mit irgendeiner Bewegung deutlich, dass es gerade die ganze Welt aufgebürdet bekommen hatte. Onkel Cosme verteilte seine Fleischmassen, und das Tier trottete los.
    Gleichermaßen unvergesslich geblieben ist mir, was er eines Nachmittags mit mir anstellte. Obwohl ich auf dem Land geboren bin (ich kam erst als Zweijähriger hierher) und es damals üblich war, dass man reiten konnte, hatte ich Angst vor Pferden. An jenem Tag packte Onkel Cosme mich und setzte mich rittlings auf das Tier. Als ich mich einsam und verlassen dort oben wiederfand (ich war damals neun), der Boden tief unter mir, begann ich verzweifelt zu brüllen: «Mama! Mama!» Blass und zitternd kam sie angelaufen, in dem Glauben, man würde mich umbringen. Sie holte mich herunter und liebkoste mich, während ihr Bruder sie fragte: «Schwester Glória, wieso hat ein so großer Kerl Angst vor einem zahmen Tier?»
    «Er ist es nicht gewohnt.»
    «Dann soll er sich daran gewöhnen. Als Priester muss er reiten können, falls er eine Vikarsstelle auf dem Land annimmt. Und hier ebenso, auch ohne Priester zu sein, denn wenn er was hermachen will wie die anderen Burschen und das nicht kann, wird er sich bei dir beschweren, Schwester Glória.»
    «Dann soll er sich beschweren; ich habe jedenfalls Angst.»
    «Angst! Also so was!»
    Tatsächlich lernte ich das Reiten erst später, weniger weil ich es wollte, sondern weil es mir peinlich war zuzugeben, dass ich es nicht konnte. «Jetzt wird er ernsthaft die jungen Damen umwerben», hieß es, als ich die
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