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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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weißen, gestärkten Hosen mit Hosenstegen, in seinem Redingote und der Krawatte mit Nadel an mir vorüberging. Er war einer der Letzten, die in Rio de Janeiro noch Hosenstege trugen, und vielleicht sogar einer der Letzten auf der ganzen Welt. Seine Hosen waren kurz gehalten, damit sie auch ganz eng anlagen. Die Krawatte war aus schwarzem Satin und innen mit einem Stahlbogen versehen, der seinen Hals unbeweglich machte; so war damals die Mode. Der Redingote aus Kattun und die legere, leichte Weste wirkten an ihm wie ein feierlicher Frack. Er war dünn, ausgemergelt, mit einem Ansatz zur Glatze und vermutlich um die fünfundfünfzig Jahre alt. Sein Gang war in der Regel eher saumselig, indes nicht im Sinne des schwerfälligen Faulenzers, war es doch eher eine berechnete, durchdachte Saumseligkeit, ein Syllogismus mit Obersatz, Untersatz und Konklusion. Eine äußerst bittere Pflicht!
    5
    Der Freund der Familie
    Nicht immer jedoch bewegte er sich auf diese saumselige Art. Er konnte auch sehr flink sein, behände und schnell, und das war ebenso echt wie das andere. Gleichermaßen konnte er herzhaft lachen, wenn die Situation es erforderte, ein breites Lachen ohne innere Beteiligung, das jedoch ansteckend wirkte. Wangen, Zähne, Augen, das ganze Gesicht, der ganze Mensch, die ganze Welt schienen zu lachen. Bei ernsten Anlässen war er äußerst ernst.
    Er zählte seit vielen Jahren zu unserer Familie. Mein Vater lebte damals noch auf der Fazenda von Itaguaí 7 , und ich war eben erst geboren. Dort tauchte er eines Tages auf und gab sich als Arzt der Homöopathie aus, das medizinische Handbuch von Chernoviz 8 und eine Hausapotheke in der Hand. Derzeit herrschte gerade eine Fieberepidemie. José Dias heilte den Verwalter und eine Sklavin, wollte aber keinen Lohn dafür annehmen. Da schlug mein Vater ihm vor, mit einem kleinen Gehalt bei uns wohnen zu bleiben. José Dias lehnte dies mit der Begründung ab, er müsse die Gesundheit in die Strohhütten der Armen tragen.
    «Wer hindert Sie daran, anderswohin zu gehen? Gehen Sie, wohin Sie wollen, aber bleiben Sie hier bei uns wohnen.»
    «Ich komme in drei Monaten wieder.»
    Zwei Wochen später war er zurück, nahm die kostenlose Unterkunft und Verpflegung an, sonst jedoch nichts außer dem, was man ihm zu den Festtagen schenkte. Als mein Vater zum Abgeordneten gewählt wurde und mit der Familie nach Rio de Janeiro zog, kam er mit und bezog ein Häuschen im hinteren Teil des Gartens. Eines Tages, als in Itaguaí wieder einmal Fieber herrschte, forderte mein Vater ihn auf, sich dort um unsere Sklaven zu kümmern. José Dias schwieg eine Weile, seufzte dann und gestand, dass er gar kein Arzt war. Er habe diesen Titel nur angenommen, um die neue Schule, die Homöopathie, zu verbreiten, und dafür habe er auch sehr viel studiert; doch sein Gewissen erlaube es ihm nicht mehr, weitere Kranke zu behandeln.
    «Aber bei den letzten Malen haben Sie sie doch geheilt!»
    «Vermutlich schon, doch es waren wohl eher die in den Büchern angegebenen Mittel. Sie waren es, ja, sie und Gottes Hilfe. Ich war ein Scharlata n … Das können Sie nicht leugnen; vielleicht waren und sind die Gründe für mein Tun edel; die Homöopathie ist eine Wahrheit, und um der Wahrheit zu dienen, habe ich gelogen. Doch es ist an der Zeit, dies richtigzustellen.»
    Er wurde nicht, wie es damals sein Wunsch war, entlassen, denn mein Vater wollte ihn bereits nicht mehr missen. José Dias besaß die Fähigkeit, sich beliebt und unentbehrlich zu machen. Man vermisste ihn wie ein Familienmitglied. Als mein Vater starb, war José Dias sehr betrübt, wie man mir erzählte; ich selbst erinnere mich nicht mehr daran. Meine Mutter war ihm sehr dankbar und wollte nicht, dass er das Häuschen im Garten räumte. Am siebten Tag der Totenwache, nach der Messe, wollte er sich von ihr verabschieden.
    «Bleiben Sie, José Dias», sagte sie.
    «Ihr Wunsch ist mir Befehl, gnädige Frau.»
    Das Testament hielt eine kleine Hinterlassenschaft, eine Aktie und vier lobende Worte für ihn bereit. Er schrieb sich die Worte ab, rahmte sie ein und hängte sie sich in seinem Zimmer über das Bett. «Das ist die beste Aktie», pflegte er zu sagen. Mit der Zeit erlangte er eine gewisse Autorität in unserer Familie oder zumindest eine gewisse Zuhörerschaft, aber er übertrieb es auch nicht und wusste seine Meinung stets demütig zu äußern. Am Ende wurde er zum Freund, zwar nicht zum allerbesten, doch nicht alles auf dieser Welt ist das
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