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Dönerröschen

Titel: Dönerröschen
Autoren: Jaromir Konecny
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verschiedenen Fahrrädern, die zwei Teile hatte er in einer Werkstatt zusammengeschweißt, den Rest in den letzten drei Jahren in unserem Keller in Oberhaching gebastelt. Jetzt stand das Monsterfahrrad unten im Fahrradkeller und wartete auf seinen Einsatz. Doch keiner wollte mitfahren. Wir hatten Angst.
    Anne wuschelte mit der Hand in ihren Haaren. »Ich fahre kein Tandem«, sagte sie. »Ich mag diesen Partnerlook nicht. Was würden die Leute dazu sagen? Die lachen uns doch aus!«
    »Das ist doch schön, wenn Leute über uns lachen, Baby«, sagte Dok und klatschte Anne auf den Hintern.
    »Bitte, sei nicht so primitiv!«, sagte sie und verschwand in ihrem Zimmer. Gleich hörten wir von dort schöne Geigentöne. Die wirkten bei Anne besser als Baldrian.
    Dok kratzte sich am Kopf. »Magst du mitfahren?«
    »Geht nicht«, sagte ich. »Muss gleich zum Kicken.«
    »Das ist doch blöd!«, sagte Dok. »Ich baue seit drei Jahren ein Tandem für uns und jetzt will keiner mitfahren.«
    »Das Basteln hat dir doch Spaß gemacht!«, sagte ich und klopfte ihm väterlich auf die Schulter. Das väterliche Klopfen mögen Väter manchmal von ihren Söhnen, sie machen’s ja selbst oft. »Sicher findet sich mit der Zeit jemand, der mitfahren würde«, sagte ich.
    Plötzlich grinste Vater. »Oh ja!«, sagte er und strahlte wie Napoleon, wenn er neben seinem Körbchen ein Stück Schwarzwälder-Kirsch-Torte entdeckt. »Jemand findet sich sicher!« Shit! Ich hätte gleich eins und eins zusammenzählen können.

Frauenfußball
    Um Viertel vor fünf schob ich mein Fahrrad aus der Tiefgarage. Hmm … Die Reifen waren etwas schlapp. Musste wohl oben die Pumpe holen. Anne winkte mir von unserem Balkon zu, der ohne die Satellitenschüssel irgendwie kahl aussah. Anne will mich immer verabschieden, auch wenn sie deswegen ihr Geigenspiel unterbrechen muss. Heute hätte sie besser weiter Geige spielen sollen.
    Unter unserem Balkon stolzierte Emre mit spitzem Gelhaardach auf dem Kopf in seinem Gärtchen herum. »Batteln wir, Oida?«, fragte er. »Isch kann disch voll dissen.«
    »Kann nicht, ich muss zum Kicken«, sagte ich und guckte hoch. Anne spitzte auf dem Balkon über uns die Ohren, tat aber so, als ob sie am Balkonrand Blumen gießen würde. Nur hatte sie kein Wasser in der Kanne. Das konnte ich sehen. Ihr war wohl nicht ganz geheuer, dass ich hier mit dem achtjährigen türkischen Gangsta so auf Tuchfüllung ging.
    »Nimmst du misch mit?«, sagte Emre. »Isch bin hier voll der beste Kicker so, weil isch kicke bald bei Bayern und so. Das hat mein Trainer gesagt so. Meine Freunde sagen Özil zu mir, Oida.« Anne auf dem Balkon über ihm verdrehte die Augen.
    »Du bist zu klein, um mit uns zu kicken«, sagte ich. Anne atmete erleichtert aus.
    »Isch fick deine Mutta, du Spast, du!«, sagte Emre. Anne stürzte in Ohnmacht. Ich ließ das Fahrrad fallen, lief um unseren Block wieder zurück und stürmte nach oben in unsere Wohnung. Ich hatte recht. In der Gießkanne war kein Wasser. Musste es im Badezimmer holen, um Anne wiederzubeleben.
    Dok und Napoleon kamen auf den Balkon gerannt. Zum Glück war Dok noch nicht auf seiner Tandem-Tour. Er führte Anne in ihr Zimmer. »Leg dich ein bissl hin«, sagte er. Ich trabte nach draußen. Erst am Fahrrad fiel’s mir wieder ein: Wegen dem Stress mit Anne hab ich die Pumpe vergessen. Ich schob das Fahrrad zu unserer Haustür und lief noch mal die Treppe hinauf. Die Wohnungstür sperrte ich sehr leise auf. Anne vertrug keinen Lärm, wenn sie ihre »Zustände« hatte. Vielleicht schlief sie ja schon. Ihre Zimmertür war aber auf. »Beinahe hätte ich’s Josch gesagt«, sagte sie. Aha! In meiner Abwesenheit benutzte sie also immer noch meinen Kindernamen.
    »Jonas ist doch schon sechzehn«, sagte Dok. »Wir können ihm die Geschichte ruhig erzählen.«
    »Und wenn er wieder krank wird?«
    »Nach sechs Jahren? Glaube ich nicht! Damals hat ihn sicher nur der Tod deiner Schwester so mitgenommen. Mit dem Mädchen muss es gar nichts zu tun gehabt haben.«
    »Du weißt nicht, was eine solche Sache mit einem Menschen anstellt«, sagte Anne. »Du bist überhaupt nicht sensibel.«
    Dok seufzte, ich schlich mich wieder heraus und machte die Wohnungstür leise hinter mir zu. Warum ich sie nicht gleich zur Rede gestellt habe? Keine Ahnung! Dok meinte mal, man könne die Leute nicht zur Wahrheit zwingen. Ich konnte doch auch mit nicht voll aufgepumpten Reifen fahren, oder? Trotzdem gab’s für die Zukunft etwas Wichtiges
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