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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten
Autoren: Betuel Durmaz
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sich meine Eltern und ihre Freunde einig. Beide Frauensollten sich gemeinsam als Gastarbeiterinnen nach Österreich bewerben. Ein solcher Schritt, der heute im Zeitalter der Globalisierung nichts Ungewöhnliches ist, war für die damaligen Verhältnisse zumindest unüblich, wenn nicht gar unvorstellbar. Seine junge Frau, die zudem vielleicht noch Mutter war, allein in ein fremdes Land reisen zu lassen, entsprach nicht gerade dem vorherrschenden männlichen Vorstellungsvermögen bzw. den männlichen Idealen. Die meisten türkischen Männer ließen ihre Frauen nicht mal alleine in einen fremden Stadtteil gehen. Und hier ging es um eine Übersiedlung in ein Land, das mehrere tausend Kilometer entfernt lag. Mein Vater jedoch konnte sich mit diesem Gedanken durchaus anfreunden. Zudem fiel es ihm äußerst schwer, meiner Mutter einen Wunsch abzuschlagen.

    Die beiden Freundinnen machten Nägel mit Köpfen und reichten bei den zuständigen Vermittlungsbehörden die notwendigen Formulare ein – allerdings eher in dem Bewusstsein, dass ihre Bewerbung ohnehin im Sande verlaufen würde. «Mich nehmen sie bestimmt nicht», lautete die Überzeugung meiner Mutter. Sie glaubte nicht daran, als Gastarbeiterin akzeptiert zu werden. Die Vorstellung war zu aufregend, fast schon revolutionär.
    Grund für die Bewerbung meiner Mutter war keineswegs der Wunsch nach einer Verbesserung ihrer finanziellen Situation. Meine Eltern wollten ein selbstbestimmtes Leben führen – ohne darauf achten zu müssen, was irgendwelche Verwandten oder Nachbarn dachten. Das ist meiner Meinung nach der entscheidende Unterschied zu den meisten anderen Gastarbeitern, denn diese kamen insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen.
    Mein Vater hatte Deutschland ja bereits kennen gelernt und das Leben dort sehr genossen. Niemand in Deutschlandmischte sich in das Privatleben junger Ehepaare ein. Selbst in einer Metropole wie Istanbul stand man in seinem Viertel unter einer sozialen Kontrolle. Waren die Fenster auch geputzt? Trugen die Kinder saubere Kleidung und hatten sie ordentliche Manieren? Ließ ein Mann seiner Frau Freiheiten, durfte sie sich z.B. allein mit einer Freundin treffen? Alles wurde beobachtet und vor allem bewertet. Doch diese «Big Brother is watching you»-Atmosphäre war nicht die Welt meiner Eltern. Vor allem deshalb begriffen sie eine Übersiedlung meiner Mutter nach Österreich als Ausbruchschance.
    Meine Mutter projizierte all ihre Sehnsüchte nach Freiheit in eine Migration. Jede Mutter möge sich vorstellen, wie es für sie wäre, zwei kleine Kinder mitsamt Ehemann zurückzulassen, um weit entfernt von der Heimat in einem fremden und damals für junge Türken exotischen Land zu arbeiten. Da es für meine Mutter sicher keine leichte Entscheidung war, muss ihr Wille zu einem autonomen Leben sehr groß gewesen sein.

    Wie meine Tante reagierte, als sie von diesen Plänen erfuhr, lässt sich wohl leicht vorstellen. Mal machte sie meinen Eltern Vorwürfe, sie übergangen und nicht gefragt zu haben. Dann war sie persönlich beleidigt und versuchte, ihnen ein schlechtes Gewissen zu vermitteln. Mein Bruder war damals drei Jahre und ich gerade ein paar Wochen alt. Meiner Mutter warf sie vor, es sei unverantwortlich, ihre Kinder allein zu lassen, auch wenn sie sich selbstverständlich erbot, als kinderlose Frau auf die Kleinen aufzupassen. Das Kinderargument war natürlich stark, aber nicht stark genug, um den emanzipatorischen Willen meiner Eltern, die bestehende Lebensform zu verändern, beeinflussen zu können.
    Nachdem derlei Versuche meiner Tante, meine Eltern umzustimmen, ins Leere gelaufen waren, versuchte sie, meinenVater in seiner männlichen Ehre zu beeinflussen. «Denk doch nur, was dort alles geschehen könnte …», lauteten ihre Warnungen. Doch auch derlei fadenscheinige Argumente brachten meine Eltern nicht von ihrem Vorhaben ab. Zudem hatten sie geplant, dass mein Vater und wir Kinder so schnell wie möglich in Form einer Familienzusammenführung nachgeholt werden sollten.
    Es vergingen sechs Wochen, bis meine Mutter einen Brief erhielt. Darin befand sich die Einladung zu einem Gesundheitscheck bei der Vermittlungsbehörde für türkische Gastarbeiter für das Ausland. Im ersten Moment waren meine Eltern überrascht bis schockiert. Man versetze sich in ihre Gefühlslage: In privater Runde unterhält man sich über die Möglichkeit, als Gastarbeiterin nach Österreich zu emigrieren. Daraufhin werden die Bewerbungsformulare
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