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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten
Autoren: Betuel Durmaz
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diese Aufgabe auch eine «Dünür», eine Verkupplerin. Zumeist besucht sie allein oder mit den Eltern befreundete Familien und erzählt ihnen, dass sie ein passendes Mädchen für den Sohn, Bruder oder ein anderes männliches Familienmitglied sucht. Durch «Mundpropaganda» erfahren auch andere Familien davon, sodass der Kreis der potenziellen Bewerberinnen größer wird.
    Meist kennt sie eine Familie mit einer Tochter im heiratsfähigen Alter und stellt einen Kontakt mit der Familie desMannes her. Es kommt zu einer ersten Inaugenscheinnahme der möglichen Braut. Wenn diese positiv ausfällt, äußert die Familie des Mannes anschließend den Wunsch nach einer Verheiratung.
    Ist auch die Familie der potenziellen Braut einverstanden, wird ein erstes Treffen zwischen den beiden zukünftigen Brautleuten arrangiert. Im Beisein der Familie sehen sie sich zum ersten Mal und dürfen im günstigsten Fall eine kurze Zeit alleine miteinander sprechen. In diesen wenigen Minuten müssen beide Menschen eine Entscheidung treffen, die ihr weiteres Leben maßgeblich prägen wird: Mögen sie den anderen? Und wird es reichen, um den Rest ihres Lebens mit ihm zu verbringen?
    Nach dem Treffen dürfen die «Brautleute» in spe zumindest in toleranten Familien ihre Meinung über den jeweils anderen äußern und mitteilen, ob sie der geplanten Heirat zustimmen. Allerdings haben in der Praxis eher die Männer das Recht, die Verheiratung abzulehnen. Die Mädchen müssen sich dem Familienwillen beugen.
    Die Verkupplerin meiner Eltern war meine Tante Hayriye, also die Schwester meines Vaters, ein zierliches Persönchen von 148 cm Körpergröße und 45 Kilogramm Gewicht, und eine Bekannte von ihr. Ihr Vater war ein Krimtatar und kam über Umwege mit seinen drei kleinen Kindern im Jahr 1935 in die Türkei. Hayriye hatte glatte blauschwarze Haare, leichte Schlitzaugen und eine olive Hautfarbe. Sie trug eine Kurzhaarfrisur, was für damalige Verhältnisse ungewöhnlich war. Noch heute tragen Türkinnen gern langes Haar. Es gilt als Symbol von Weiblichkeit. Meine Tante jedoch verstand sich als moderne Türkin und lehnte es bis zu ihrem Tod ab, ein Kopftuch zu tragen. Sie wollte ihre Haare nicht damit bedecken: «Es würde mir die Luft abschneiden. Außerdem treibt bei der Hitze das Tragen eines Kopftuches die Schweißbildungnur voran.» Jedes Mal, wenn die Sprache auf das Thema Kopftuch kann, unterstrich sie ihre Ansicht mit einem angewiderten Kopfschütteln.
    Trotz ihres zierlichen Wesens fiel es schwer, meine Tante zu übersehen, denn sie liebte es, sich in den Vordergrund zu spielen, und verfügte über ein reichhaltiges Repertoire schauspielerischer Fähigkeiten. Vermutlich lag es daran, dass sie lange Jahre im berühmten Istanbuler Abendkasino «Maxim» als Garderobiere arbeitete. Dort lernte sie viele bekannte Sänger kennen, die im Kasino auftraten, u.a. war sie für die Garderobe des noch heute in der Türkei bekannten Klassiksängers Zeki Müren zuständig. Durch den ständigen Umgang mit den Größen des Istanbuler «Showbiz» entwickelte meine Tante auch im privaten Bereich ein ebenso selbstsicheres wie kosmopolitisches Auftreten. Sie hatte eine gut bezahlte Arbeit und lernte viele interessante Menschen kennen.
    Tante Hayriye war in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Mein Vater erzählte mir, dass sie als ganz junges Mädchen immer in Herrenanzügen und einem Humphrey-Bogart-Hut auf dem Kopf rauchend durch die Straßen Istanbuls lief. Die Leute, die sie in dem Aufzug sahen, riefen ihr nach «Erkek Hayriye geliyor», was in etwa bedeutet «der Junge Hayriye kommt». Meine Tante lehnte es stets ab, über dieses frühe Kapitel ihres Lebens zu sprechen. Nachfragen wischte sie mit einer Handbewegung beiseite. Als einziges Überbleibsel der damaligen Zeit blieb das starke Rauchen. Irgendwann hatte sie darauf verzichtet, in Herrenanzügen herumzulaufen, und sie gegen schicke knielange Kleider und Kostüme eingetauscht. Was der Auslöser für diese Entwicklung war, wird auf ewig ihr Geheimnis bleiben.
    Tante Hayriye und mein Vater waren Vollwaisen. Meine Oma starb, als mein Vater zwei Jahre alt war. Vermutlich verbrachte sie die Zeit vor ihrem Tod in einer psychiatrischenKlinik im Istanbuler Stadtteil Bakirköy. Wenn man den Erzählungen Glauben schenken kann, wurde sie einst von meinem Großvater geraubt und führte wohl kein allzu glückliches Leben mit ihm. Mein Großvater arbeitete als Tagelöhner und war ein sehr eigensinniger, wenig
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