Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten
Autoren: Betuel Durmaz
Vom Netzwerk:
wenn es sich um eine Angelegenheit handelte, die sein Leben ebenso wie das meiner Mutter entscheidend bestimmen sollte. Insofern war das Mitspracherecht beider Brautleute sehr begrenzt bis nicht vorhanden.
    In seinem Sommerurlaub 1963 in der Türkei wurde er also meiner Mutter vorgestellt und stimmte nach zahlreichen weiteren Selbstmorddrohungen meiner Tante der geplanten Hochzeit zu. Fragt man die damaligen Brautleute in spe nach ihren empfundenen Gefühlen, so zucken beide immer nur mit den Schultern. Von Liebe war mit Sicherheit noch nicht die Rede.
    Mein Vater kehrte kurzzeitig nach Deutschland zurück, kündigte seine Arbeitsstelle und kehrte in dem Glauben in die Türkei zurück, seine Zeit als Gastarbeiter gehöre für immer der Vergangenheit an. Doch bevor er zunächst ein letztes Mal nach Deutschland zurückkehrte, wurde eine große Verlobungsfeier organisiert, wobei meine Tante Hayriye die Regieleitung innehatte.

    Während ihrer Verlobungszeit durften meine Eltern Ausflüge allein unternehmen. Klassische Konzertbesuche standenebenso auf der Tagesordnung wie Theater- und Kinobesuche und gemeinsame Essen im Restaurant. Auf diese Weise lernten sie sich näher kennen und wurden mit den Denkweisen und Charaktereigenschaften des anderen vertraut. In jener Zeit entstanden zahlreiche Fotos, auf denen mein Vater in stets unterschiedlichen, eng geschnittenen Anzügen mit modernen schmalen Krawatten Händchen haltend mit meiner Mutter zu sehen ist. Meine Mutter trug knielange Röcke oder Kostüme und hatte das Haar hochgesteckt. Ihr gefielen die modernen Ansichten ihres zukünftigen Ehemanns, der beispielsweise das Tragen von Kopftüchern vehement ablehnte und nie von seiner Frau verlangt hätte. Seinem Wesen nach ist er mehr der klassische Gentleman alter Schule. Jede Art von Machogehabe war ihm fremd. Er genoss es (und genießt es bis heute), wenn meine Mutter Dinge entschied, die in der Regel türkische Männer entscheiden. So fragte er sie z.B. immer, wohin sie ihren Ausflug unternehmen sollten, ob lieber ins Kino oder ins Theater oder vielleicht ganz woandershin. Aus europäischer Sicht ist dies eine ganz normale Verhaltensweise, für den orientalischen Kulturkreis ist es bis heute eher ungewöhnlich modern und europäisch. Die Erfahrungen und Erlebnisse meines Vaters als Gastarbeiter in Deutschland machten ihn noch zusätzlich interessant für meine Mutter. Seine Geschichten aus Deutschland faszinierten sie. Vermutlich träumte sie schon ziemlich früh von einem selbstbestimmten Leben in Europa.
    Vor der Verlobung mit meinem Vater wurde meiner Mutter ein Heiratskandidat vorgestellt, der streng gläubig und dessen Ansichten viel konservativer waren. Für diesen Mann war es selbstverständlich, dass seine zukünftige Frau in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen müsste. Zwar übte meine Großmutter großen Druck auf ihre Tochter aus, diesen Mann zu heiraten, doch meine Mutter hielt stand und konnte eine Verheiratung abwenden.
    Sechs Monate lang waren meine Eltern verlobt, dann heirateten sie am 18. November 1964 nach dem «Görücü usulu». Für beide Seiten war es keine Liebesheirat. Vielmehr beugten sie sich der Entscheidung der älteren Familienmitglieder. Aus europäischer Sicht ist diese Art zu heiraten zumindest ungewöhnlich, im islamischen Raum hingegen ist sie weit verbreitet. Auch unsere Nachbarn und viele Freunde meiner Eltern in der Türkei wurden alle nach dem «Görücü usulu» verheiratet.
    Der Ablauf der Hochzeit unterliegt strengen traditionellen Regeln. Die Seite des Mannes muss für sämtliche Kosten der Feier aufkommen, die Angehörigen der Frau haben für die Aussteuer zu sorgen, die mit in die Ehe gebracht werden muss. Die Verkupplerin erhält von der Familie des Mannes für sich und ihren Ehemann ein in Stoff gewickeltes Paket, genannt «Bohca». Darin sind kleine Geschenke für ihre Bemühungen enthalten. Strümpfe, bestickte Stofftaschentücher und diverse Seidenschals gehören zu so einem «Bohca».
    Bevor mein Vater meine Mutter abholen und zum Fest fahren durfte, versammelten sich viele Frauen im Haus meiner Oma: die engsten Verwandten meiner Eltern, die Freundinnen meiner Oma und meiner Mutter, die Verkupplerin mit ihren weiblichen Familienmitgliedern und ziemlich viele Kinder. Die Frauen trugen neue Kleider und gingen zunächst gemeinsam zum Friseur. Er gestaltete einem Dutzend Damen elegante Hochzeitsfrisuren. Die Rechnung dafür musste der Bräutigam bezahlen. So sieht es die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher