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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten
Autoren: Betuel Durmaz
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Verheiratung gekommen.
    Mein Vater Bekir ahnte damals noch nichts von seiner bevorstehenden Eheschließung, da er als Gastarbeiter in Deutschland lebte. Mit seinen 33 Jahren hatte er das «ideale» Verheiratungsalter schon fast überschritten: Männer sollten bis etwa Mitte zwanzig verheiratet sein.
    Zu der Zeit, als Tante Hayriye für ihn auf Brautschau ging, lebte mein Vater als Gastarbeiter in Deutschland. Ende der 1950er-/Anfang der 1960er-Jahre war die Hochzeit der Gastarbeiteranwerbung in Deutschland. Die Wirtschaft brummte und es herrschte Vollbeschäftigung. Es fehlten Arbeitskräfte – insbesondere für gering qualifizierte Tätigkeiten in den Fabriken und in Dienstleistungsgewerben wie z.B. Reinigungsfirmen. Seit 1955 schloss daher die Bundesrepublik Deutschland Anwerbeabkommen mit anderen europäischen Ländern. Mit Hilfe von Anwerbebüros wurden direkt vor Ort vorwiegend männliche Arbeitsmigranten angeworben. Die ersten Menschen, die als Gastarbeiter in dieser Zeit nach Deutschland kamen, stammten aus Italien, Spanien, Jugoslawien und Griechenland. Ab 1960 kamen auch Gastarbeiter aus Portugal und aus der Türkei.

    Noch heute schwärmt mein Vater von den damaligen Zeiten und erzählt, dass er in Witten, einer Stadt im südlichen Ruhrgebiet, zu den ersten Gastarbeitern zählte und dass die blonden Frauen ihm zuwinkten, wenn sie ihn auf der Straße sahen. Natürlich winkte er zurück. Er genoss sein unbeschwertes Singleleben ohne soziale Kontrolle und Verpflichtungen in Deutschland. Tagsüber arbeitete er und an seinen freien Wochenenden reiste er durch das Land, um sich verschiedene deutsche Städte anzusehen. So fuhr er beispielsweise einmal frühmorgens mit dem Zug nach München, wo er den Tag verbrachte und sich einen Einblick von der bayrischen Metropole und ihren Bewohnern verschaffte. Andere Städte folgten. Mitein wenig Glück kannte er jemanden, bei dem er übernachten konnte. Wenn nicht, stürzte er sich ins Nachtleben und nahm den ersten Zug am Morgen zurück. Dort holte er den versäumten Schlaf nach.
    Das Nachtleben spielte vermutlich eine nicht nur untergeordnete Rolle an seinen Wochenenden. Manchmal erzählt er von den vielen Tanzlokalen, die er besucht hat. Meine Mutter gibt dann stets zu verstehen, dass sie davon nichts hören will. Mein Vater erwidert dann nur: «Das war doch nichts Besonderes, ich war eben Single». In der richtigen Stimmung berichtet er sogar von seiner damaligen Freundin, die recht stattlich gewesen sein soll und um die 100 Kilogramm auf die Waage brachte. Bei dieser Vorstellung müssen sich mein Bruder und ich immer amüsieren, denn mein Vater ist sehr schlank und brachte es damals bei einer Größe von 1,75 m auf gerade mal 64 Kilogramm. Meine Mutter war sozusagen die ideale Ergänzung, denn sie wog bei ihrer Hochzeit nur 52 Kilogramm. Wenn er von seiner beleibten Freundin berichtet, kommentiert sie dies meistens ironisch mit: «Die hat ja sehr gut zu dir gepasst».
    Natürlich stand auch mein Vater in engem Kontakt mit seiner türkischen Heimat. Seine Schwester Hayriye war aufgrund der schwierigen Kindheit eine Art Mutterersatz für ihn. 1963 bat sie ihn, den Sommerurlaub in der Türkei zu verbringen. Dort unterrichtete sie ihn von ihren Verheiratungsplänen. Vermutlich war er im ersten Moment nicht allzu begeistert, denn meine Tante bot ihm einen ihrer theatralischen Auftritte und drohte damit, sich vor einen fahrenden Zug zu werfen, falls er gegen die Verkupplungspläne stimmen sollte. Ihrer Meinung nach war es höchste Zeit, dass er heiratete. Und selbstverständlich kam nur eine einzige Person in Frage, die in der Lage war, die richtige Frau für ihn auszuwählen: sie selbst. Die Braut in spe musste zu meinem Vater passen und natürlich eine Türkin und Muslimin sein. Tante Hayriye befürchtete,ihr Bruder würde eines Tages eine deutsche Frau kennen lernen und heiraten. Und das wollte sie unter allen Umständen verhindern, denn für einen türkischen Mann konnte nur eine türkische Frau gut sein.
    Letzten Endes blieb meinem Vater keine andere Wahl, als der Verheiratung zuzustimmen. Er war von seinen Schwestern in einigen Bereichen sehr traditionell erzogen worden. Und das bedeutete, dass man den älteren Familienmitgliedern auf jeden Fall zu gehorchen hatte. Schließlich wollten sie stets nur das Beste für einen und einem selbst fehlte die Erfahrung um einzuschätzen, was «das Beste» für einen war. Echten Widerspruch hätte mein Vater nicht gewagt – auch
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