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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten
Autoren: Betuel Durmaz
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über Laden-öffnungszeiten, sondern über vorhandene Arbeit oder nicht vorhandene Arbeit. Nur wenn meine Eltern selbst etwas vorhatten, ließ mein Vater den Kiosk geschlossen.
    Im Laufe der Zeit gestaltete sich das Zusammenleben mit meiner Tante für meine Mutter immer schwieriger. Als ältestes Familienmitglied übernahm meine Tante schnell die Rolle der Bestimmerin und mischte sich in nahezu alle Lebensbereiche meiner Eltern ein. Zu allem und jedem hatte sie etwas anzumerken und gab ihre Ratschläge, von denen sie erwartete, dass sie berücksichtigt wurden: Kindererziehung, Wohnungseinrichtung, Zubereitung der Speisen, Kleidungsfragen undundund. Selbstverständlich nahm meine Tante an fast allen Ausflügen und Freizeitaktivitäten meiner Eltern und uns teil. Und sie schrieb meiner Mutter vor, ob und wann sie gleichaltrige Freundinnen besuchte. In der Folge kam es immer wieder zu Streitereien zwischen beiden, denn das selbstbestimmteLeben, das meine Mutter sich erträumt hatte, geriet bei dieser Form des Zusammenlebens, das keinerlei Freiraum und Privatsphäre bot, zunehmend in Gefahr. Mit anderen Worten: Die gewonnene Freiheit meiner Mutter drohte wieder beschnitten zu werden.
    Bei den Streitigkeiten fiel es meinem Vater schwer, seinen Standpunkt einzunehmen, denn er saß sozusagen zwischen allen Stühlen. Er musste zwischen seiner Schwester und seiner Frau vermitteln, genau das aber entsprach bzw. entspricht bis heute so gar nicht seinem Naturell. Er war es nicht gewohnt, seiner älteren Schwester und «Ersatzmutter» zu widersprechen, zumal die Mutter in orientalischen Kulturen einen immens hohen Stellenwert hat. Insbesondere bei den männlichen Nachkommen gilt sie als heilig. Ihr zu widersprechen, ist eine Sünde. Da zudem ein männliches Familienoberhaupt fehlte, gab meine Tante in allen Lebensbereichen den Ton an. Für meinen Vater bedeutete das ein großes Problem. Einerseits fühlte er sich seiner Frau verpflichtet und musste nun Position beziehen, was ihm wohl laut Aussage meiner Mutter nicht immer gelang. Andererseits fühlte er sich seiner Schwester verpflichtet, die ihn ohne Eltern großgezogen und sogar gehungert hatte, damit er als der Jüngste genug von dem wenigen Essen bekam. Dieser Konflikt, zwischen zwei Frauen zu stehen, würde meinen Vater so lange begleiten, wie er mit seiner Frau im Haushalt seiner Schwester lebte.
2. Der lange Weg aus der Türkei
    Die schwierige Wohnsituation machte meine Mutter immer unzufriedener und wirkte sich negativ auf ihre Psyche aus. Sie war nicht länger ausgeglichen und glücklich. In der Folge kam es zwischen meinen Eltern vermehrt zuAuseinandersetzungen, deren Grund jedoch nicht in der Beziehung selbst lag, sondern in der Form des Zusammenlebens. Zu jener Zeit hatte sich auch zwischen meinen Eltern ein Gefühl des Verliebtseins bzw. der Liebe eingestellt. Anders als bei westlichen Liebesehen fand alles in umgekehrter Reihenfolge statt: erst heiraten, dann kennen lernen und schließlich – wenn man Glück hatte – sich ineinander verlieben. Gerade aufgrund seiner Verliebtheit nahm mein Vater den negativen Einfluss meiner Tante auf ihre Beziehung deutlich wahr. Schließlich kann sich kaum ein jung verheiratetes Paar vorstellen, mit einer Schwiegermutter (oder wie im Fall meiner Eltern mit einer Art Schwiegermutter) in einem Haushalt zu leben.
    Eines Abends waren meine Eltern mit uns Kindern bei einem befreundeten Ehepaar zum Essen eingeladen. Ayhan war der beste Freund meines Vaters und auch die beiden Frauen verstanden sich sehr gut. Es sollte ein Abend werden, der das Leben der beiden anwesenden Familien weitreichend veränderte. Die Gastgeberin hatte einige türkische Spezialitäten zubereitet und erzählte beim Essen, dass in Österreich Gastarbeiterinnen in der Textilbranche gesucht würden. Meine Mutter wurde sofort hellhörig und wollte die genauen Umstände der Bewerbung erfahren. Sie hatte Interesse an einer solchen Tätigkeit, denn schlagartig war ihr klar geworden, dass darin die Chance lag, der angespannten häuslichen Umgebung zu entfliehen.
    Das Thema Österreich konnte auch deshalb ausführlich diskutiert werden, weil es das Schicksal günstig mit meinen Eltern gemeint hatte, denn meine Tante besuchte an diesem Abend Freunde, war also nicht zugegen. So konnte meine Mutter ungeniert Fragen zu allen Details stellen, die sie interessierten. Sie erhielt keine Antwort, die geeignet war, sie von einem Engagement in Österreich abzuhalten. Schnell waren
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