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Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Titel: Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
Autoren: Garry Disher
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Wyatts wegen waren Henri und Joseph tot.
    Le Page konnte sich in Geduld fassen. Er hatte die Entwicklung der Geschichte in den Online-Ausgaben der Melbourner Tageszeitungen Age und Herald Sun verfolgt. Man hatte Eddie Oberin in einem Gerichtsgebäude erschossen, man hatte die Leiche eines weiblichen Schussopfers in einem ausgebrannten Wagen am Ufer des Yarra Rivers entdeckt, die Polizei hatte die Frau, die auf Furneaux’ Grundstück gesehen worden war, aufgefordert, sich zu melden.
    Laut Zeugenaussagen hatte es sich im Gerichtsgebäude um einen männlichen Schützen gehandelt. Zweifellos hatte sich Eddie Oberin im Laufe seines mittelmäßigen Lebens viele Feinde gemacht, aber für Le Page kam nur der geheimnisvolle Partner Wyatt infrage. Wyatt war es gelungen, einen Mann zu töten, der sich unter Polizeischutz an einem öffentlichen Ort befunden hatte.
    Hier, an der Seite des Hangs, überkam Le Page plötzlich ein Frösteln. Er steckte den Brief von Levine & Levine in die Tasche, ging zurück auf die Straße und Richtung Tal. Sein Weg führte ihn an einem verwitterten Steinkreuz vorbei. Ein Zeugnis der Sinnlosigkeit und des Wahnsinns, im achtzehnten Jahrhundert errichtet von einem trauernden, schuldbeladenen Bauern, der zur Strafe für eine Ungezogenheit seinen kleinen Sohn an eine Kuh gebunden hatte und Zeuge geworden war, wie das Tier das Kind zu Tode getrampelt hatte.
    Le Pages Wanderung dauerte zwei Stunden. Als er zurückkam, erwartete ihn eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Er hatte damit gerechnet. Da er gewusst hatte, dass man ihn eines Tages aufspüren würde, hatte er den Bahnhofsvorsteher, die Fahrkartenschaffner, den Dorfgendarmen, Ladenbesitzer und umtriebige Kinder alarmiert, ein Auge auf Fremde zu haben, die in das Tal kamen. Jetzt hatte Jeanne, eine Kellnerin aus dem Bahnhofsrestaurant, angerufen. Ob es Monsieur etwas ausmache, sie zurückzurufen? Sie sehe Woche für Woche jede Menge Fremde, aber heute Nachmittag habe vor allem ein Mann ihre Aufmerksamkeit erregt.
    Le Page rief nicht zurück, sondern schlüpfte zur Hintertür hinaus und machte sich auf die Suche, über die kleinen Wiesen und durch das dichte Farnkraut unterhalb seines Hauses, durch die Buchenwälder und über die Waldlichtungen dahinter.
    Die untergehende Sonne stand jetzt in einem niedrigen Winkel, perfekt, um Opfer oder Beute aufzuspüren. Leicht aufgewühltes Erdreich, gebrochene Zweige, niedergetretenes Gras und geknickte Halme, die feuchte Unterseite umgedrehter Steine, frische Kratzspuren an mit Flechten bewachsenem Felsgestein oder an Baumstämmen, all das ließ sich im schräg einfallenden Licht am besten ausmachen. Er suchte auch nach Abdrücken von Schuhen, der kreisförmigen Vertiefung eines ruhenden Knies, lauschte auf Flügelschläge, auf das Flattern und die Schreie aufgescheuchter Vögel und anderer Tiere. Le Page las in der Natur und bewegte sich in ihr wie eines ihrer Geschöpfe. Aber es gab keine Spuren, nur die, die er selbst hinterlassen hatte: keine Fußspuren, keine zerbrochenen Zweige oder Mulden in der Laubdecke, kein Blattwerk, das zurückgebogen worden war.
    Was bedeutete, dass Wyatt ihm überlegen war oder erst in der Dunkelheit kommen würde.

    49

    Wyatt erreichte Le Pages Grundstück in der Abenddämmerung und begriff, dass es ein Fehler wäre, in das Haus einzudringen, bevor er mehr Erkenntnisse gesammelt hatte.
    Die Lichtverhältnisse gestalteten es schwierig, er befand sich auf unbekanntem Terrain, und er könnte die ganze Sache vergeigen, wenn Le Page ihn an diesem Berghang wahrnahm und verfolgte. Außerdem wusste er nicht, wie es im Innern des Hauses aussah. Er wusste, in welchem Abstand sich das Haus zum Brunnen befand, zum Holzstapel, wo der Generator und die Schuppen standen, wo die Beete angelegt waren, aber hohes Gras und lange Schatten verfremdeten die gesamte Anordnung. Ein Durcheinander aus Formen und Silhouetten hatte sich gegen ihn verschworen. Die Gefahr bestand, sich an irgendeinem Teil einer Anlage zu verletzen, bevor er das Haus erreichte, und sollte es ihm gelingen, den Garten zu durchqueren, könnte er den Alarm auslösen oder Bewegungsmelder aktivieren, Wachhunde auf den Plan rufen oder eine Riege bewaffneter Schläger.
    Er befasste sich noch einmal mit dem Licht. Es erzeugte Streifen, ein Gewirr von Linien und Flecken entstand, als die Sonne allmählich verschwand. Und als der Mond aufging, wurden die Sichtverhältnisse noch vertrackter.
    Wyatt zog sich in eine Mulde in einem
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